Kaiser Friedrich I. Barbarossa (reg. 1152 -1290) wurde vor 900 Jahren geboren, wahrscheinlich 1122, vermutlich in Hagenau im Elsaß. Die Stauferzeit, welche von diesem wohl bedeutendsten Herrscher des Mittelalters und seinem fast noch wichtigeren Enkel, Kaiser Friedrich II. (reg. 1212 – 1250) umfaßt wird, gilt allgemein als der Höhepunkt des Mittelalters. Carl Jacob Burckhardt schreibt am 12. April 1922 an Hugo von Hofmannsthal: „War nicht das 12. Jahrhundert einer unserer höchsten Augenblicke? Da war alles in der Helle des Christentums wieder hervorgebrochen, Byzanz klang mit. Die arabisch-jüdische Welt war inbegriffen.“
Die großen Herrscher der Geschichte sind oft besonders dadurch groß, daß sie den Rahmen für Neues schaffen oder zulassen.
Ludwig XIV. von Frankreich ist ein Beispiel dafür, daß nicht die Person, sondern die von ihr ausgehende Aura ein Zeitalter prägen kann. Wenn man diesem König gedanklich die Krone absetzt, dann bleibt vielleicht nicht allzu viel. Lieselotte von der Pfalz (1652 – 1722), die ihren Schwager sehr gut kannte und beobachtete, zeichnet ihn als bigotten und ungebildeten Feigling – aber er wurde doch für Generationen zum „Sonnenkönig“. Denkt man Friedrich Barbarossa ohne den Strahlenkranz des Kaisertums, weiß man nicht, was bleibt – die Quellen sind nicht sehr ergiebig. Man weiß nicht, ob er fromm war, an Literatur oder Kunst interessiert, ob er der kalte Machtpolitiker war, wie es seine Kriegszüge nahelegen, oder ob er unter Skrupeln Dinge tat, die heute weniger gefallen. Die in seiner Regierungszeit gebauten 1.153 Kirchen hat der Kaiser gewiß nicht zur Kenntnis genommen, und daß der Kaiser sich für die Gedichte Heinrichs von Veldeke interessierte, ist kaum anzunehmen. Den wohl bedeutendsten deutschen Dichter der Stauferzeit, Wolfram von Eschenbach (um 1170 – um 1220) konnte er wohl noch gar nicht zur Kenntnis genommen haben.
Sicher ist nur, daß nachfolgende Generationen in Friedrich I. denjenigen sahen, der das Reich der Deutschen zu einer nie wieder erreichten politischen Bedeutung gebracht hatte.
Die ständigen Reisen des Kaisers nach Italien, sein Ausgriff nach Sizilien, der damit verbundene politische Austausch mit dem Papst und mit dem byzantinischen Kaiser und nicht zuletzt seine Teilnahme am 2. und 3. Kreuzzug haben ihm und seinem Umfeld sowie dem Umfeld seines Umfeldes, vom Reichskanzler bis zum Koch und Lanzenträger, Eindrücke gegeben, die weit über das hinausgingen, was die damals noch ungebildeten und des Lesens und Schreibens unkundigen Deutschen kannten. Dies und Barbarossas von Holstein bis Sizilien und von den Niederlanden bis Schlesien reichende Herrschertätigkeit müssen etwas ausgestrahlt haben, das seine Zeitgenossen und die Folgegeneration angeregt hat, ins Weite zu denken und nach Neuem zu suchen.
In der Person dieses Kaisers laufen die größten Bewegungen Europas vor der Reformation zusammen – Cluny und die Kreuzzüge.
Um das Jahr 1000 begann mit der Erneuerungsbewegung von Cluny eine Entwicklung, die zu einem unerhörten Aufschwung des Glaubens führte und mit der Eroberung von Jerusalem (1099) ihren Gipfelpunkt erreichte. Dann aber ging diese Bewegung langsam zurück. Die lauten Rufe „Deus lo vult“ – „Gott will es“, nämlich das Heilige Grab von den Ungläubigen zu befreien, die fanatisierenden Predigten von Peter von Amiens und Bernhard von Clairvaux, erwiesen sich als unzutreffend, denn Gott wollte es offenbar nicht. Gott ließ es zu, daß die Christen wieder aus dem Heiligen Land vertrieben wurden und daß die ungläubigen Türken Schritt für Schritt in die Länder der Christen vorrückten.
Es begann nun die bis heute andauernde Phase der kritischen Auseinandersetzung mit dem Christentum und dem Glauben überhaupt. Gestützt von der Wiederentdeckung des Aristoteles um 1200 wagte sich die empirische Naturwissenschaft hervor. Die kritischen Fragen machten vor Papst und Kaiser nicht halt. Das einheitliche christliche Abendland begann, sich in unterschiedlichen Nationen zu sehen. Der Glaube an die göttliche Beglaubigung von Papst und Kaiser wurde allmählich durch den Glauben an die vernunftgeleiteten (Natur-)Wissenschaften ersetzt. Die ersten Früchte dieser Entwicklung, nämlich die langsame Selbstbefreiung der Völker aus der kirchlichen Umklammerung, werden in der Literatur des 12. Jahrhunderts sichtbar und zeigen sich in Deutschland insbesondere in der Stauferzeit. Der Aufschwung war eng verbunden mit der politischen Situation des Reiches unter den Staufern.
Im Gegensatz oder komplementär zur religiösen Askese entwickelten sich im staufischen Zeitalter freiere Weltfreude und heitere Lebensbejahung, der Sinn für Schönheit und feine Sitte.
Wie ein Wunder hat sich dieses Lebensgefühl entfaltet. Dabei können drei Generationen deutlich voneinander geschieden werden: Von 1160 – 1180, also in der Regierungszeit Barbarossas, wurden die Grundlagen dieser ritterlichen Kultur gelegt, von 1190 – 1220 reichte die Zeit ihrer reifen Vollendung, von 1220 – 1250 dauerte noch die Nachfolge der klassischen Meister. Mit dem Ende der kaiserlichen Macht war ihre Blütezeit vorbei. Der Tod Kaiser Friedrichs II. vernichtete dann auch ihre Voraussetzungen. Die Stauferzeit zeigt sich daher als das Ende einer Weltperiode, die in die Rationalität der Neuzeit überleitete. Was ist geblieben? Erstaunlich viel – und wir Deutschen wissen es oft nicht einmal.
Die Rezeption des Römischen Rechts im Heiligen Römischen Reich unter Friedrich I. hatte weltweite Folgen, die sich bis heute zeigen.
So notiert zum Beispiel das italienische Wikipedia, Friedrichs Beitrag zur Gesellschaft und Kultur Mitteleuropas umfasse die Wiedereinführung des Corpus Iuris Civilis. Die unter Karl dem Großen um 800 angebahnte und von Kaiser Otto I. im zehnten Jahrhundert aufgegriffene Theorie oder Vision der renovatio oder translatio imperii, also der Fortexistenz des antiken Imperium Romanum im mittelalterlichen Reich des Westens, wurde unter Barbarossa noch einmal kraftvoll belebt. Im römischen Reich der Staufer mußte auch das Römische Recht gelten, wie es für alle Zeiten bindend eben im Corpus Iuris Civilis des Justinian um 500 niedergelegt worden war. Diesem Recht wurde unbedingte Weltgeltung zugesprochen.
Der berühmte niederländische Jurist Johannes Voet schreibt 1723: „Das von Iustinian und Ulpian gelehrte natürliche Recht ist das, was die Natur alle Geschöpfe lehrt“. Der große deutsche Pandektist Heinrich Dernburg sah 1902 im Römischen Recht „eines der Grundelemente der Rechtswissenschaft und der menschlichen Kultur“. Mit diesem Lob war die systematische Gliederung des Rechts gemeint. Das nach 1871 geschaffene deutsche BGB wurde davon ganz entscheidend geprägt.
Das Bedürfnis nach systematischer Ordnung des Rechts war der Grund, daß um 1900 Japan und China mit dem Beginn ihres Industriezeitalters das deutsche BGB praktisch kopierten. Das war auch der Grund, weswegen fast alle Kodifikationen des Privatrechtes nach 1900 dem BGB folgten. Ab 1990 galt das für die Nachfolgestaaten der Sowjetunion und für Rußland selbst im Bürgerlichen Gesetzbuch Granshdanski Kodeks (1994). „Law Made in Germany“ wurde zu einer Art Produktwerbung des Bundesministeriums für Justiz (Aden, M., Zeitschrift für Rechtspolitik 2012, S. 50 ff).
Hinsichtlich der Zahl der Rechtsunterworfenen hat dieses deutsch-römische Erbe der Epoche Friedrichs I. heute weltweit die größte Verbreitung und zählt neben manchen anderen Ergebnissen der Stauferzeit, vgl. Eckartschrift 251, zu den nachhaltigsten Überbleibseln dieser Ära. Es hat das Potential, Vorbild für ein welteinheitliches System des Zivilrechts zu sein.