Kalendarium Kandili (10)
von Mario Kandil
„Marx ist Murks“, so pflegten wegwerfend diejenigen zu sagen, die Karl Marx und seine Ideen generell ablehnten, natürlich auch über das Kommunistische Manifest, das der Mann aus dem beschaulichen Trier zusammen mit Friedrich Engels vor 175 Jahren in die Welt setzte. Und die salopp formulierte Auffassung geht in der Tat nicht an der Realität vorbei…
Entstanden war der 23seitige Text, der aus einer Einleitung und vier Kapiteln besteht, aus der beim ersten Kongreß des „Bundes der Kommunisten“ erhobenen Forderung nach einem Statut. Das Manuskript, Anfang Februar 1848 in London eingetroffen, ging noch am 21. desselben Monats in Druck. Damit erschien der Text – auch als Manifest der Kommunistischen Partei bezeichnet – noch vor der Februarrevolution im Frankreich des „Bürgerkönigs“ Louis-Philippe sowie der Märzrevolution im Deutschen Bund und dessen größten Mitgliedsstaaten Österreich und Preußen.
Das Manifest beginnt mit den berühmt-berüchtigten Worten: „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus“. Und es endet mit dem zum geflügelten Wort gewordenen Aufruf: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ Entstanden ist der Text in einer Zeit der Restauration: Die alten Mächte Europas versuchten, sich neuen Halt zu verschaffen, während sie sich überall durch demokratisch-revolutionäre Bestrebungen und noch radikalere Ideen gefährdet sahen. Zugleich vollzog sich mit der Industriellen Revolution eine Umwälzung, die den frühen Kapitalisten großen Reichtum eintrug, wohingegen sie für viele Arbeiter in den modernen Großstädten und Fabriken ein elendes Dasein bedeutete. Man muß kein Freund von Marx und Engels sein, um den beiden zu konzedieren, daß nachvollziehbare Empörung über diese Massenverelendung eines ihrer wichtigsten Motive für das Abfassen des Manifests gewesen ist.
Gewaltsam brach sich diese Empörung erst rund 70 Jahre später Bahn, in der Russischen Oktoberrevolution von 1917. Nun darf man jedoch keinesfalls übersehen, daß die Bolschewisten das ursprüngliche Ziel der Kommunisten – eine menschliche Gesellschaft ohne Unfreiheit und ohne Unterdrückung – nur als wohlklingenden Vorwand benutzten, um mit ihrer eigenen Diktatur eine weitaus tyrannischere Form von Herrschaft auszuüben, als es die Zaren je getan hatten. Der Kommunismus in der Realität ist gescheitert, während der Kapitalismus, den Marx und Engels für todgeweiht hielten, noch immer lebt. Er hat sich jedoch längst mit einem Kommunismus im neuen Gewand verbündet.
Über den Autor:
Dr. phil. Mario Kandil M.A., geb. 1965, studierte in Aachen Mittlere und Neuere Geschichte, Alte Geschichte und Politische Wissenschaft und promovierte in Hagen. Nach langjähriger Tätigkeit im universitären Bereich und in der Erwachsenenbildung heute freier Historiker und Publizist. Forschungsschwerpunkte: Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons I. sowie der Nationalstaaten, Weltkriege und Kalter Krieg.