Mehr als ein ideologisches Programm?
von Daniel Fabian
Die Gegenwart ist übertechnisiert. Längst nicht nur das Smartphone in jedermanns Hand prägt unseren Alltag. Die Frage, wie technologische Innovationen uns als Menschen verändern, wird da selten gestellt. Dabei zeichnen sich am Horizont bereits Entwicklungen ab, die weit über das hinausgehen, was heute zum Standard geworden ist – ebenso, wie wir alle uns vor 30 Jahren die heutigen technischen Selbstverständlichkeiten kaum vorstellen konnten.
Vielen gegenwärtigen Entwicklungen in der industriellen Forschung ist gemeinsam, daß sie äußerst ambitioniert sind und die Grenzen des bisher plausibel Denkbaren überschreiten.
Elon Musk zum Beispiel, der reichste Mensch der Welt, experimentiert mit Körper und Geist, plant Arbeiterroboter in Serienfertigung zu geben („Optimus“), will Personen mit 1000 km/h durch Unterdrucktunnel befördern („Hyperloop“) und Computerchips in Gehirne implantieren („Neuralink“). Begründet werden diese Vorhaben stets mit der Lösung gesundheitlicher oder gesellschaftlicher Probleme. Gehirnimplantate erlauben Schwerstbehinderten, Geräte zu bedienen, rasend schnelle Beförderung spart Zeit und Emissionen, Roboter nehmen uns mühselige körperliche Arbeit ab. Wo dieser technologische Fortschritt nicht nur Lebensbedingungen verbessern oder die Infrastruktur effizienter machen, sondern in der Menschennatur selbst angelegte Defizite beseitigen soll, hat sich in den letzten Jahren eine übergeordnete Weltanschauung in öffentliche Diskussionen eingeschlichen – der Transhumanismus.
Transhumanismus läßt sich definieren als Streben nach Selbstperfektionierung in Anlehnung an das Ideal maschineller Leistungsfähigkeit.
Der Mensch sei den Anforderungen der Zukunft nicht mehr gewachsen, also müsse er zum „Übermenschen“ (denn das bedeutet „transhuman“) werden. Das übergeordnete Ziel ist die „Beseitigung des Menschen, wie wir ihn heute kennen, und dessen Neuerschaffung mit Hilfe wissenschaftlich-technischer Methoden“ (Susanne Hartfiel, Transhumanismus – Selbsterlösung der Menschheit im 21. Jahrhundert, Logbuch XXIII, Lepanto 2022). Die Vorstellungen, wie dieses Ziel erreicht werden könne, reichen von hochentwickelten Prothesen über Mensch-Maschine-Hybriden bis hin zur Vernetzung von Gehirn und Bewußtsein im Internet zu einer Art Hyperbewußtsein. Solche Vorstellungen gelten heute an Lehrstühlen, in Fachredaktionen und in der Politik weithin nicht als Science-Fiction, sondern als zentrale Zukunftsfragen.
Aus dem Elfenbeinturm in den Alltag
Dabei ist Transhumanismus zunächst ein akademisches Phänomen, wenn nicht sogar illusionär. Keine der teilweise seit Jahrzehnten angekündigten Hoffnungen hat sich bisher verwirklicht – trotz immer leistungsfähigerer Prozessoren, größerer Forschungsbudgets und stark zunehmender öffentliche Aufmerksamkeit. Weder lassen sich funktionierende Quasigehirne nachbauen noch ganze Persönlichkeiten als Datenpakete abspeichern; auch die Lebensspanne scheint trotz aller Medizintechnologie absolute Grenzen zu haben. Selbst die modernsten Androiden sind immer noch sehr deutlich als Roboter zu erkennen – und sie erwecken mit zunehmender Menschenähnlichkeit sogar eher Abscheu beim Betrachter. So sehr die Science-Fiction-Erzählungen rund um menschenähnliche Roboter oder sogar Mensch-Maschine-Kombinationen einander seit mindestens 40 Jahren ähneln, so wenig scheinen sie aber an Faszination verloren zu haben: Um eine neue Art von „Freiheit“ soll es gehen, um Unabhängigkeit von jeglicher Einschränkung durch körperliche und geistige Vorbedingungen des Menschen, und seien es dessen Verletzlichkeit und Sterblichkeit. Das Individuum soll sich nach Gutdünken entfalten können und in nichts gehemmt werden, von niemandem. Daß diese Sichtweise in den USA entstanden ist, kann nicht überraschen.
Transhumanismus hat zwei Seiten, eine fast banale und eine sehr brisante
Einerseits denken transhumanistische Forscher Eingriffe in die Natur des Menschen entlang des technologischen Fortschritts nur weiter: Wenn Herzschrittmacher, warum dann keine Gehirn-Maschine-Schnittstellen? Wenn künstliche Hüftgelenke, warum dann keine hochentwickelten Arm- und Beinprothesen, die mehr können als die ursprünglichen Körperteile? Wenn Lebensverlängerung durch Medikamente, warum dann keine Kältekonservierung Verstorbener in der Hoffnung auf zukünftige Heilung ihrer Krankheiten?
Andererseits unterstellen transhumanistische Theoretiker geradezu eine Pflicht zur Technisierung des Menschen, um mit der technologischen Entwicklung Schritt halten zu können. Künstliche Intelligenz, so argumentieren sie, habe die menschliche Intelligenz bereits überholt. Wenn dem Menschen die Zügel des Fortschritts nicht aus der Hand gleiten sollten, so müsse er sich mit maschineller Hilfe aufrüsten. Daß das daraus entstehende künftige Wesen dann kein Mensch, sondern ein über den Menschen hinausgehendes neues Etwas wäre, nehmen sie nicht nur in Kauf, sondern begrüßen diese Entwicklung sogar. Manche Transhumanisten scheinen den sich selbst neu „erschaffenden“
Menschen für eine konsequente Fortentwicklung der Evolution zu halten.
Identität und Ideologie
Wer nach den vorigen Ausführungen meint, es mit rein theoretischen Philosophenträumereien zu tun zu haben, hat Recht und Unrecht zugleich. Obwohl Mensch-Maschine-Hybriden und das Hochladen von Bewußtsein ins Internet derzeit nichts mit der Lebenswirklichkeit zu tun haben, ist transhumanistisches Denken schon tief in die Alltagskultur vor allem der jungen Generation eingedrungen. Wer genau hinsieht, entdeckt in den meisten kulturellen Entartungen, die den „liberalen Westen“ in den beiden vergangenen Jahrzehnten immer schneller durchdrungen haben, die geistige Vorarbeit des Transhumanismus’. Der Einzelne solle sich sein Geschlecht und seine sexuelle Orientierung, seine verwandtschaftlichen Beziehungen und seine Herkunft selbst aussuchen können, dies alles abgesichert durch technische Hilfsmittel (künstliche Befruchtung, „geschlechtsumwandelnde“ Operationen) ebenso wie durch staatliche Unterstützung und über Massenmedien erzeugten Akzeptanzdruck auf andere. Von dieser Gegenwart hin zu Zukunftsvorstellungen ohne vorgegebene Herkunfts-, Geschlechts- oder Altersmerkmale, dauerhafte persönliche Bindungen oder Festlegung auf einen eigenen, definierten Körper ist der Schritt nicht mehr groß.
Auffällig an den „übermenschlichen“ Visionen ist eine merkwürdige Kombination aus Über- und Unterschätzung des Menschen
Während die Theoretiker ihre eigene Spezies zu nie gekannten Höhen führen wollen und – nicht zuletzt – sich selbst die Fähigkeit zusprechen, die phantastischsten Entwicklungen anstoßen zu können, ist ihre Motivation doch eine ständige Unzufriedenheit mit menschlichen Möglichkeiten. Transhumanisten vergleichen Menschen notorisch mit Maschinen, wobei der Vergleich für den Menschen schlecht ausgeht (Sensorik, Ausdauer, Belastbarkeit, Anspruchslosigkeit), vermeiden aber Vergleiche, die für die Maschine schlecht ausgingen (Kombinationsvermögen, Schöpferkraft, Einfühlung, Anpassungsfähigkeit). Mag maschinelle Intelligenz noch so beeindruckende Ergebnisse zeitigen: Beeindruckender ist die menschliche Leistung, die sie erdacht, entwickelt und gesteuert hat. Wer das bedenkt, wird den transhumanistischen Zukunftserwartungen skeptisch gegenüberstehen.