von Reinhild Bauer
Brauchtum (48)
Das traditionelle Heilig-Abend-Essen aus dem Erzgebirge, das „Neinerlaa“, zu Hochdeutsch „Neunerlei“, ist vor allem ein Essen mit viel Symbolkraft. Die Zusammensetzung der Zutaten entspricht kaum der Vorstellung von einem klassischen Festmenü und bedeutet für die Menschen des Erzgebirges doch Festlichkeit in seiner höchsten Form. Die Zahl Neun steht dabei für dreifaches Glück, da sie durch drei teilbar ist, was wieder Drei ergibt und die Drei als große Glückszahl gilt. Die christlichen Verbindungen sind mit der heiligen Dreifaltigkeit gegeben, neun ist zudem die Zahl der Engelschöre, und auch der Himmelsweg der Seele gelangt über neun Stufen zur Erlösung. Und so ergibt sich: Drei mal Drei ist Neunerlei!
Sämtliche Gerichte werden auf einer Tafel aufgetischt und sollten alle zumindest gekostet werden, um die symbolische Wirkung auch voll entfalten zu können. Welche neunerlei Gerichte auf den Festtafeln landen, variiert von Haushalt zu Haushalt ein wenig, denn zur Auswahl symbolträchtiger Gerichte stehen: Bratwurst für den Erhalt von Kraft und Herzlichkeit; gut kombinierbar mit Sauerkraut, Sinnbild für Gesundheit im neuen Jahr; für den großen Hunger werden Klöße für den Wohlstand gegessen; Linsen für das stets nötige Kleingeld, ein Braten aus Gans, Schwein oder Kaninchen als Sinnbild für das Glück und immer reichlich Essen in der Vorratskammer. Hierzu finden sich auf der Tafel noch Sellerie für die Fruchtbarkeit, Brot und Salz für Gastfreundschaft und Herzlichkeit, Pilze für Freude und Glück. Als Nachtisch finden wir schließlich Kompott, Sinnbild für die Freude am Leben, und Semmel- oder Buttermilch für eine starke Familie, wahlweise mit Nüssen – für viele gute Jahre – verfeinert.
Dem Aberglauben nach wird man im kommenden Jahr bestohlen oder zumindest von den Hühnern um die Eier gebracht, sollte man während des Mahles die Tafel verlassen. Dies führt zu einem sehr ruhigen und geschlossenen Festmahl, welches, begleitet von Liedern über dieses Gericht, beispielsweise dem Ur-Heilig-Obnd-Lied, abgehalten wird. Wem es zu aufwändig ist, dieses umfangreiche Festmahl selbst zu kochen und auf den Tisch zu bringen, der muß zumindest im Erzgebirge glücklicherweise trotzdem nicht auf diesen Segen für das kommende Jahr verzichten und kann in ausgewählten Gasthäusern in den entsprechenden Genuß kommen.
Über die Autorin:
28 Jahre alt, Ehefrau, Mutter und Mitorganisatorin zweier großer Kulturveranstaltungen für die deutsche Jugend; aufgewachsen im Österreichischen Turnerbund und der Bündischen Jugend, Studium zur Volksschullehrerin, anschließend drei Jahre in der österreichischen Politik.