Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

Foto: Sven Schiszler
Ein Teil des Klosters Bârsana – die Gebäude sind Ausdruck der vollendeten Holzbaukunst, die in dieser Region Rumäniens noch immer gepflegt wird.

Eine Reise in die Maramuresch

von Sven Schiszler

„Die ungeschminkte Schöne“

Daß der Karpatenraum als Kulturraum mit seiner Vielfältigkeit, seinen Landschaften, seinen Menschen und seinen Genüssen immer eine Reise wert sei, daran wird ein vernünftiger Mensch nicht zweifeln. Am Nordhang der rumänischen Karpaten findet sich eine Landschaft, die man wegen ihrer urwüchsigen Dörfer und kleinen Gehöfte einst als riesiges Freilichtmuseum bezeichnet hat: die Maramuresch.

Das einfache Leben, ist es hier zu finden?

Gewiß, vom allgemeinen Wandel der Zeiten blieb auch dieser Landstrich Nordrumäniens an der Grenze zur Ukraine nicht verschont. Wie jede Entwicklung hatte auch die Modernisierung ihre Licht- und Schattenseiten. Zu schätzen weiß man als Autofahrer die mittlerweile recht gut ausgebauten und in Stand gehaltenen Straßen. Vor zwanzig Jahren bewegte man sich mit einer Reisegeschwindigkeit von 50 Stundenkilometern auf Hauptstraßen, hochkonzentriert, immer den Blick auf die zehn Meter vor dem Auto geheftet: Schlaglöcher, in Durchmesser und Tiefe dazu angetan, Reifen und Achse gleichermaßen zu zerstören, waren keine Seltenheit. Heute fährt man die eintausend Kilometer von Reichersberg im Innviertel nach Wischau (Viseu de Sus) in zwölf Stunden, Achsbruch und Reifenplatzer muß man nicht mehr fürchten.

Die andere Seite der Medaille liegt auf der Hand: Man kann diese Wege nutzen, um bequem ins Land zu reisen, man kann sie aber auch nutzen, um das Land zügig zu verlassen. Rumänien profitiert als Mitglied der Europäischen Union zwar von vielen Förderungen, die neben dem Verkehrswegebau auch in andere Infrastrukturmaßnahmen fließen, doch eine nachhaltige Entwicklung braucht neben Geld auch motivierte Menschen und Arbeitskräfte, und die scheinen dem Land zu fehlen. Die Rumänen, die wir vor und während unserer Reise kennenlernten – allesamt überdurchschnittlich gut ausgebildet – waren bzw. sind Auslandsrumänen aus Österreich, Deutschland, USA und Irland, die während eines Urlaubs ihre alte Heimat besuchten. Sie alle verließen das Land vor Jahren.

Holzbaukunst in höchster Vollendung

Wenn es etwas gibt, daß die Maramuresch neben ihrem landschaftlichen Liebreiz auszeichnet, dann ist es die hohe Kunstfertigkeit des Holzhandwerks. Typisch für die Gegend sind insbesondere die Hoftore, die einerseits durch Massivität, andererseits durch detailreiche Schnitzerei beeindrucken. Zwei flankierende Säulen, oft aus ganzen Baumstämmen, eine schindelgedeckte Querverbindung zwischen den beiden Stehern und zwei Torflügel, wobei in einen der beiden oft noch eine Tür eingelassen ist, bilden die Grundstruktur. Kein Zentimeter bleibt dabei unbearbeitet: Von filigranen Zopfmustern über christlich inspirierte Ornamente bis hin zu feinziselierten abstrakten Mustern zeigen die Schnitzer, was sie können. Ein Augenschmaus. Und nicht zuletzt auch Ausdruck kleinbäuerlichen Selbstbewußtseins und nach außen dokumentierter bescheidener Wohlstand, der sich an der Größe des Tores und der Aufwendigkeit der Schnitzarbeiten ablesen läßt. Gerieten wir bei den Hoftoren schon regelmäßig in freudige Erregung ob des handwerklichen Könnens, so verschlug es uns beim Betreten der Klosteranlage Bârsana geradezu die Sprache. Man betritt das auf einer Anhöhe im Iza-Tal gelegene Kloster durch einen monumentalen Torturm, und es eröffnet sich ein Blick auf ein gepflegtes, einige Hektar großes Areal: ein malerischer Teich, mit Weidenflechtwerk eingefriedete Blumenrabatte, dazwischen großzügige Rasenflächen und darin einige große, mehrstöckige aber niemals unbescheiden wirkende Gebäude: allesamt überwiegend aus Holz aufgeführt, manche kombiniert mit Gemäuer aus Feldsteinen. Eine aus Eichenbalken gezimmerte Kirche erreicht mit ihrem filigranen Turm eine Gesamthöhe von 57 Metern. Wir stehen, den Kopf im Nacken, unter einem Vordach und bestaunen die Exaktheit, mit der das Bundwerk ineinander verzinkt und durch Holznägel zusätzlich verbunden ist. Holzbaukunst in höchster Vollendung!

Die Deutschen werden hier Zipser genannt und leben in der „Zipserei“.

In Wischau (Viseu de Sus) machten wir uns auf die Spurensuche nach den Zipsern, jenen deutschen Siedlern, die aus der Zips (Slowakei) und aus dem oberösterreichischen Salzkammergut zu Zeiten der Donaumonarchie als Holz- und Bergarbeiter gerufen wurden und eine bedeutende Siedlung gründeten. Noch heute spricht man in dem Städtchen Wischau ganz selbstverständlich von der Zipserei, wenn man jenen Stadtteil meint, der einst überwiegend von Deutschen bewohnt war – die Bezeichnung Zipser hatte sich auf alle Deutschen übertragen, unabhängig von ihrer ursprünglichen Herkunft. Die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges war auch an diesen Menschen in der Maramuresch nicht spurlos vorübergegangen, ebensowenig die der Nachwendejahre, in der viele der verbliebenen jüngeren Zipser in der Hoffnung auf Arbeit, guten Verdienst und eine bessere Zukunft das von sozialistischer Diktatur gebeutelte Rumänien Richtung Bundesrepublik Deutschland verließen, womit die deutsche Minderheit mit den gleichen demographischen Problemen zu kämpfen hat wie die rumänische Mehrheitsbevölkerung, mit der man im großen und ganzen im guten Einvernehmen steht; nicht zuletzt sind Mischehen zwischen Zipsern und Rumänen oder Ungarn keine Seltenheit mehr.

Gastfreundschaft im Wassertal

Wir fahren ein Stück ins malerische Wassertal hinein, das von Wischau Richtung Norden abzweigt. Den Eisenbahnfreunden bekannt durch die Wassertalbahn, die „Mocanita“, eine Schmalspurbahn, die Holz aus dem Tal heraus- und Touristen in das wildromantische Tal hineintransportiert. Entlang der Straße, die sich dem Flußlauf anschmiegt, findet sich, gleichsam wie aufgefädelt, eine lange Reihe von kleinen Höfen. In einem solchen leben Stefan Schiesser und seine Frau Margret, Zipser Originale sozusagen. Wir werden von einem alten Freund der Familie zu den Schiessers „mitgebracht“, man empfängt uns so offenherzig und freundlich, als wären wir Bekannte, die nach langer Zeit wieder einmal den Weg ins Wassertal gefunden hätten. Das kleine Anwesen fällt durch seine Aufgeräumtheit und Sauberkeit auf. An einen kleinen Innenhof, der zur Straße hin durch einen hohen Holzzaun mit Tor abgetrennt ist, schließt sich zur einen Seite die sogenannte Sommerküche, zur anderen Seite das Wohnhaus an, stirnseitig befinden sich ein kleiner Stall und die Scheune. Dahinter die Wiesen und ein überaus großzügiger Gemüsegarten – Selbstversorgung mit Gemüse und Fleisch war insbesondere in sozialistischen Jahrzehnten schlichte Notwendigkeit. Blumenschmuck an den Fenstern, der Boden säuberlich gefegt, der Ziehbrunnen im Hof – noch in Verwendung – durch einen schmucken Holzverbau vor Schmutzeintrag von außen geschützt. Ein kleines Idyll, das eine authentische Wohnsituation – von Elektrifizierung und Wasserinstallation abgesehen – widerspiegelt, wie sie auch vor fünfzig, sechzig oder mehr Jahren bestanden hat. Wir sind begeistert! Bereitwillig zeigt uns der Hausherr, nachdem wir einen hochprozentigen Begrüßungsschluck aus eigener Fertigung zu uns genommen haben, Haus und Hof. Wir dürfen einen Blick in die Sommerküche werfen, besichtigen Kuh- und Schweinestall, die erst seit kurzem – das Ehepaar Schiesser hat bereits die achtzig hinter sich gelassen – als Fahrradgarage dienen, überzeugen uns von der Funktionalität des Ziehbrunnens und geben auf der Wiese unsere Sensenmähkünste zum Besten, die uns eine gewisse Anerkennung verschaffen. Schließlich lassen wir uns bei Gesprächen über Wohl und Ergehen der Zipser im allgemeinen und der Familie Schiesser im besonderen – mittlerweile waren auch Schwiegersohn Otto und Gattin Margret aus Nürnberg eingetroffen – bei der Gartenhütte nieder. Über dieser Unterhaltung ist einiges an Zeit vergangen, als Margret mit einem Topf heißer Mamaliga (Polenta) in der regionaltypischen Zubereitung erscheint und uns zu kräftigem Zulangen auffordert. In Schichten aufgebaut findet sich zwischen den Maisgrießlagen jeweils eine Schicht Käse, obendrauf eine Lage gerösteter weißer Speck, dazu ein kräftiger Schlag Joghurt. Der selbstgebrannte Zuika darf natürlich nicht fehlen. Derart großzügig bewirtet, bieten wir als kleine Gegenleistung unsere Mithilfe für die am nächsten Tag anstehenden Heuarbeiten an.

Ostberliner Chronist der Maramuresch

Als letzte Station unserer Reise besuchen wir noch einen Dokumentarfilmer und Schriftsteller im abgelegenen Valea Vinului (Weintal), das ebenfalls von Wischau Richtung Norden abzweigt. Björn Reinhardt, in Ostberlin aufgewachsen, fand hier seine große Liebe und blieb. In unzähligen Dokumentationen und einem Bildband hat er die Maramuresch und ihre Menschen porträtiert, insbesondere den Bewohnern des Weintales, die auch heute noch ein Leben in der kargen Abgeschiedenheit der Nordkarpaten führen, hat er ein Denkmal gesetzt: mit spürbarer Sympathie für die Menschen, doch völlig frei von romantisierender Verklärung. Als wir nach einer Woche Karpatenaufenthalt in den sehr frühen Morgenstunden die Heimreise antreten, sind wir erfüllt von zahlreichen interessanten Begegnungen mit Menschen, die uns offen und gastfreundlich empfangen haben, und angetan von einer Landschaft, die eine herbe Schönheit kennzeichnet. Und das einfache Leben? Ja, eine Ahnung davon haben wir wohl mitgenommen…

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