von Benedikt Kaiser
Die traditionellen bundesdeutschen Buchmessen finden statt in Leipzig im März und in Frankfurt am Main im Oktober. Politische Gründe haben dafür gesorgt, daß mit Halle/Saale im November fortan ein weiterer Buchmessentermin auf dem Plan steht. Hier wurden die Gründe erklärt: https://dereckart.49-12-166-91.plesk.page/alle-nach-halle-auch-aus-oesterreich/.
Man darf vorwegnehmen: Die Debütveranstaltung, organisiert im wesentlichen durch Susanne Dagen vom Buchhaus Loschwitz in Dresden, war am 8. und 9. November mit über 6000 Besuchern und rund 90 Ausstellern aus der Bundesrepublik Deutschland und aus Österreich ein voller Erfolg – am 7. und 8. November 2026 soll dieser wiederholt werden. Mit mehr Besuchern, mehr Ausstellern, mehr Messefläche, mehr Verpflegungsoptionen, mehr Programm. Schon jetzt empfiehlt es sich, dieses Wochenende freizuhalten: Halle/Saale ist aus Österreich gut per Flug (Wien–Leipzig/Halle) oder Bahn (ICE-Direktverbindung) erreichbar.
Aus Sicht der Österreichischen Landsmannschaft (ÖLM) und der Zeitschrift DER ECKART sind natürlich folgende zwei Programmpunkte hervorzuheben:
Dr. Erik Lehnert, häufig im ECKART zu lesen, diskutierte bereits am ersten Messetag unter Moderation unseres Schriftleiters Konrad Markward Weiß mit ECKART-Autor Ronald Schwarzer über „Brandenburg, Preußen, Österreich und die besseren Deutschen“. Die rasch zum Erfolg gewordene Lehnertsche Eckartschrift gibt das Thema vor, das bereits – Wiener erinnern sich – an einem einmaligen „preußischen Abend“ in der Fuhrmannsgasse gut gelaunt und kenntnisreich ausgewalzt wurde. Wie schon in Wien wurde auch diesmal der Tagungspunkt im Anschluß harmonisch bei dem einen oder anderen „Stamperl“ beziehungsweise „Klaren“, wie man um Halle herum sagt, veredelt.
Ich selbst durfte mit Schriftleiter Weiß dann am Sonntag den Raum 1 mit Leben füllen. Ich glaube, ganz unbescheiden, wie es sich geziemt, daß uns dies sehr gut gelang: Etwa 150 Menschen, darunter – wie im Nachgang deutlich wurde – auch einige Journalisten, füllten den Saal; neugierige Gäste saßen gar auf dem Flur und in den Gängen. Wir sprachen heiter, aber mit dem nötigen Ernst über diese Kolumne, vor allem aber: weshalb sie nötig wurde, was den heutigen deutschen Osten ausmacht.
Anders gesagt: Wir debattierten über Mentalitäten und Metapolitik, Wendepunkte und Widerstandspotentiale. Daß wir dies ausgerechnet in Halle/Saale taten, also in Sachsen-Anhalt, wo 2026 die AfD den ersten Ministerpräsidenten der Geschichte stellen könnte, da sie bereits jetzt in den Umfragen bei rund 40 (!) Prozent steht, verlieh dem Thema zudem die notwendige tagespolitische Brisanz; und zwar schon eine Woche bevor Ulrich Siegmund als AfD-Spitzenkandidat von Axel Springers Talkformat „Politico“ in politisch-historische Fallen gelockt werden sollte, die er aber mit Bravour vermied.
Brisant war auch die Fortsetzung am erfreulich stark frequentierten ÖLM/ECKART-Messestand – Weiß und ich waren uns herzlich einig, bei den „Stamperln“ unterschiedliche Geschmacksempfindungen zu hegen. Für mich besonders erfreulich war am Stand neben Gesprächen mit alten und neuen ECKART-Lesern ein lebhaftes Rendezvous mit dem „Impresario“ Ronald Friedrich Schwarzer. Das altbewährte Habsburg und das (gar nicht mal so) junge Ostdeutschland verstanden einander prächtig.
Apropos Ostdeutschland: Natürlich habe ich den Lesern dieser Kolumne zwei Fundstücke aus „Kaisers Zone“, also mit dezidiert mittelostdeutschem Bezug, aus Halle mitgebracht.
Zum einen handelt es sich dabei um eine Biographie Josef Kneifels. Der Panzersprenger von Karl-Marx-Stadt (Chemnitz 2025) ist dabei eine umfassend erweiterte und überarbeitete Neuausgabe eines bereits vor zwölf Jahren veröffentlichten Bandes, der damals als Der Anschlag (Chemnitz 2013) schnell ausverkauft war. Der Umfang ist verdoppelt, die damaligen Autoren Johannes Schüller und Erik Latz durch Arne Schimmer nicht ersetzt, sondern verstärkt. Latz, der Kneifel gut kannte, steuerte nun selbst ein aktuelles und durchaus persönliches Vorwort bei, das auch jenen hilft, die mit der Personalie Josef Kneifel (1942–2020) noch gar nichts anfangen können. Kurz: Der in Niederschlesien geborene und in Sachsen gestorbene Kneifel war Dissident in der DDR und ab 1990 in der BRD. Der Spiegel schrieb über ihn schaudernd, aber zugleich mit spürbarer Anerkennung: „Einen Gegner wie Josef Kneifel hatte die DDR nur einmal.“
Und man wird ohne Übertreibung sagen können: Arne Schimmer gelingt es, auf den Schultern seiner Co-Autoren stehend, aber deren Forschung weiterentwickelnd, das Leben dieses radikalen und durchaus streitbaren Oppositionellen spannend wie ein Kriminalroman darzulegen. Es dreht sich naturgemäß vieles um den 9. März 1980, als Josef Kneifel sich dazu entschied, in Karl-Marx-Stadt, dem vor- und nachmaligen Chemnitz, ein Sprengstoffattentat auf ein gewichtiges Symbol der Sowjetbesatzer – einen Panzer – zu begehen. Damit begann für Kneifel, der unter anderem im „Gelben Elend“ zu Bautzen geschändet wurde, eine Leidensgeschichte, die erst vier Jahrzehnte später mit seinem Tod enden sollte.
Denn Kneifel wurde auch in der BRD, die er einst noch im Vergleich zur DDR als positiveres Deutschland empfand, zum Fundamentaloppositionellen. Sein Engagement im Spannungsfeld von „nationalem Widerstand“, Chemnitzer Stadtgeschichte und sächsischem Sonderbewußtsein ließ erneut die Repressionsbehörden auf ihn aufmerksam werden. Bis kurz vor seinem Tod ging der Streit um den „Panzersprenger“ weiter: Pro Chemnitz, mittlerweile als Freie Sachsen (FS) eine regionalistische Bewegung im gesamten Freistaat, beantragte Anfang 2020 im Stadtrat – erfolglos und ohne Schützenhilfe durch die AfD –, den radikalen Dissidenten zum Ehrenbürger der altehrwürdigen Industriestadt zu machen. Das wurde mit Verweis auf Kneifels frühere Aktivität für die 2011 verbotene „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ (HNG) vollumfänglich verweigert, wie im Nachwort des FS-Parteichefs Martin Kohlmann erläutert wird.
Heute wird man ohnehin sagen können, daß der eigenwillige Josef Kneifel der fleischgewordene Mythos ebenjener Freien Sachsen und ihres wachsenden Milieus bleibe. Nicht nur der Nachwortautor ist FS-Kader; auch das vorliegende Buch erscheint im parteinahen Interregnum-Verlag zu Chemnitz, und der in der „Alten“ wie „Neuen“ Rechten Deutschlands bekannte Autor des vorliegenden Werkes Arne Schimmer ist zugleich Chefredakteur des FS-Monatsmagazins Aufgewacht. Eine jede Bewegung benötigt wohl ihre stilisierten Ikonen, zumal eine solche Bewegung, die sich in permanentem Aufruhr befindet und deshalb in der Repressionsspirale festen Halt bei historisch widerständigen Vorläufern suchen muß.
Das zweite Fundstück aus Halle, das ich den ostinteressierten „Kaisers Zone“-Lesern mitgebracht habe, widmet sich denn auch explizit ebenjener Repressionsspirale. Es trägt den Titel Juristische Mobilmachung in Zeiten zunehmender Repression (Freiburg 2025) und erschien als Studie eines süddeutschen Anwaltkollektivs. Die einzelnen Kapitel sind aufeinander aufgebaut. Von einer „Kurzen Geschichte der Repression in Deutschland“ über verschiedene Analysen von politischen Strafverfahren führt der Weg direkt zur Gegenwart und den jüngsten Entwicklungen politischer Justiz, die seit der Ära der rot-gelb-grünen „Ampel“-Regierung mit Nancy Faeser (SPD) und dem zeitweisen Compact-Verbot einen Negativschub erhielten. Besonders lesenswert sind ferner die Ausführungen zum „drohenden Berufsverbot für patriotische Juristen“ und zur fatalen Reformation von Aufenthaltsrecht und Zuwanderungspolitik in der BRD.
Um mit Halle/Saale zu schließen, weil es mit Halle/Saale begann: Die letzten beiden Kapitel des Buches widmen sich der konkreten Realität einer nahenden AfD-Regierung, beispielsweise in Sachsen-Anhalt. Welche Gestaltungsmöglichkeiten wären vorhanden? Droht aus Berlin im Falle einer blauen „Wende“ eine Art „Reichsexekution“, neudeutsch „Bundeszwang“ (Art. 37 GG)? Wo liegen rechtliche Grenzen und Möglichkeiten einer grundsätzlich ausgerichteten Opposition, die zur Regierung kommt?
Deutlich wird im Fazit jenes Buches, das angesichts des Schlüsselwahljahres 2026 jedem AfD-Aktiven ans Herz gelegt werden muß: „Entscheidend ist am Ende nicht nur der juristische Rahmen, sondern vor allem das politische Wollen.“ Das Recht folgt nämlich längst der Politik, ob man das positiv bewertet oder nicht. Die Autoren scheinen sich jedenfalls einig: Daß es so sei, limitiere die Möglichkeiten in der (schwarz-roten) Gegenwart und biete neue Potentiale in der (blauen) Zukunft. Ein informatives Buch, und die „Zone“ bleibt spannend.
Benedikt Kaiser
Über den Autor:
Benedikt Kaiser, Jg. 1987, studierte an der Technischen Universität Chemnitz im Hauptfach Politikwissenschaft. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lektor und Publizist. Kaiser schreibt u.a. für Sezession (BRD), Kommentár (Ungarn) und Tekos (Belgien); für éléments und Nouvelle École (Frankreich) ist er deutscher Korrespondent.