Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

Wikimedia Commons, Gordon Grant

Wilhelm Frankes ukrainisches Tagebuch – Leseproben

von Christoph Fackelmann

Am 7. II.

 […] als Posten 4 eingewiesen zur Wache im Turbinengang. Grandioser Blick aufs Werkganze. Der Gang ins Werkinnere wird mir zum großen Erlebnis der Phantastik der technischen Welt. Große, magische Lichter und Schatten. Turbinen sausen. Schaltlampen glimmen, blau, rot. Scheinwerfer strahlen. Ein Kran arbeitet, wird er eingeschaltet, springen große Schließfunken. Klein scheinen die Männer in der Turbinenhalle. Sie wirken als bescheidene, eifrige Diener einer Riesenmacht. Die erdgraue Tracht der Ukrainer mit runder Kopfhaube fügt sich geheimnisvoll in die Alberich-Zauberwelt. Männer setzen eine Schraubplatte auf eine liegende Turbine. Die kreisende Bewegung, die die Techniker dabei ausführen (der Kran hilft ihnen mit) wirkt wie ein Tanz. Wie man den ersten Flur durchgeht, sieht man durch die großen Spiegelscheiben große Eisschollen auf dem nachtdunklen Dnjepr treiben, hört die Turbinenabwässer rauschen. Die Landschaft im Rauhreif morgens schwingt mit Wasser, Eis, Felsklippen, grauem Himmel, gewaltigen Gittermasten, Drähten, zerstörter Eisenbogenbrücke, Kälte, Rauch, schwingt die Landschaft ins Große, gemahnt an die weiträumigen Londoner Landschaften O. Kokoschkas. Das Riesenmaß der Aggregate gibt erst die richtigen Maße für die Gewalt der gefesselten Naturkräfte. Das arme Dichterherz fühlt: wie schaff ich ein Werk, das in Ehren neben dieser Unsumme von menschlicher Leistung besteht! […]

Wir hausen in einer Russenbaracke, hart am Rand eines Steinbruches. Wir, das heißt: der Sprengmeister, der lange Glasmacher, der Schuhmacher und Friseur und ich. […] Von unsrer Baracke aus öffnet sich ein weiter Blick ins Dnjeprtal, auf Wasser, kahle Felsen- und Sandinseln, auf eine gesprengte Eisenbrücke, Seilbahn, gewaltige, flußüberspannende Elektromasten, auf eine moderne Stadtsilhouette. Aus den Dammluken quillt, stäubend und schäumend, das ­Dnjeprwasser. Als Nachtposten bin ich eingeteilt. Stehe je 3 Stunden nachts am Turbinenhauseingang, der Aufzugtür gegenüber. In den überhellen, weißen, kalten Februarmondnächten kommt mir der Dnjeprostroj mit seinen Steilwänden wie ein assyrisch-babylonisch-ägyptisches Bauwerk vor, im Stahlhelm empfind ich mich selbst wie einen alten Tempelwächter. […]

[22. 6.] In dieser Juniwoche einige Male Feindeinflug: Scheinwerfer wischen, es steigen wie rote Wildentenketten die Leuchtspurkugeln, der Russe wirft ganze Bündel Leuchtschirme, Jäger sausen. Wie rote Würmer ringelt sich die Leuchtspur um den aufgehenden Mond. – Die Monduntergänge erlebe ich als sterbende Schönheit. Mich hält eine tiefsitzende Krise gefangen. Mein Inneres ist wie ein Schlachtfeld der Mächte der Erde und des Geistigen. Ob die Sonnenwende auf mein Wesen wirkt? Die Decken sind gesprengt. Auftut sich ein Blick in die eigenen Tiefen. Ferne Klänge von Versen. In Demut denk ich an den Rilke der Elegien. Wie wird der Weg weiterführen? Wir sind nichts ohne Gnade. Eine Hand muß sich aus dem kreisenden Dunkel zeigen, uns halten. –

Die Fischer leben ihren altheiligen Tag. Daß der Mond auf die Fische wirkt, glauben sie fest. Wie Kinder sind sie, da sie einen Krebs fangen. Auf dem Scheitel, dem grünen, der Felseninsel, ziehen geruhig die Herden, rauchen die Hirtenfeuer. […]

20. September. – Bewegte Tage. Übern Staudamm, durch den Tunnel geht der Rückzug. Straße nach Chortitza in dicke Staubwolke gehüllt. Kraftwagen auf Kraftwagen. Durch den Tunnel fahren Flüchtlingswagen, wandern Herden von Rindern, Pferden, Schafen. Immer wieder stelzen hübsche Fohlen, wiehern, suchen die Stute. Soldat und Zivilist rauben Vieh. Ich sehe, wie ein Fahrer ein Rind in einen Panzerspähwagen zwängt, durch die Fenster will es aus. Ein anderes Rind bricht durch den Draht ins Minenfeld, wird zerfetzt. Ich laufe hin, finde nur mehr Häufchen von Gedärm und eine Klaue. Unser Waschraum gleicht einem Fleischkeller. Täglich essen wir Hammelrippchen, Rindfleisch, ölige Suppe. Flak neben uns melkt eine Kuh. […] Durch das Näherrücken der Front (auf 35 km?) erleben wir heftige Flugangriffe. Nachts kauern, schlafen wir im Felsenbunker. Strohmatten sind auf die Erde gebreitet, eine elektrische Birne gibt Licht. Granit schirmt die Schläfer. Draußen ist die Hölle los. Bomben jaulen, treffen die Brücke, Hallen. Flak gellt und paukt. MG knattern. Tiefflug. Am Posten sitz ich im Würfelbunker. Durch die Scharte seh ich einen Feindflieger abstürzen. Über dem Dnjepr schweben zwei rote, rauchgeschwärzte Leuchtschirme. Blutrot schimmern die Wellen […]

22. 9. 43. – Uralte Bilder des Krieges: brennende Dörfer am Horizont, der Elendszug der Flüchtlinge, ziehende, brüllende Herden. Dann die gesteigerte Phantastik des Kampfes der Gegenwart: gewaltige dunkle Rauchpilze der Bomben, unerhörter Lichtzauber der Nächte: die Kreuze der Scheinwerfer, die ein Feindflugzeug festhalten, die roten Springfontänen der Leuchtspur, Mündungsfeuer, Leuchtschirme überzucken die ganze Landschaft. Höllenlärm. Und alle Lichtzauber widerspiegeln im dunklen Strom. […]

11. Oktober 1943. Das Werk verödet. Flaktürme stehn ohne Mann und Geschütz. Nahe grollt die Front. Am 10. Oktober bricht der Russe durch. Von Posten 2 sehe ich deutlich Einschläge. Erstatte Meldung. Der Adjutant des Staudammkommandanten glaubt mir nicht. Der Dnjepr trägt keine Fischerboote mehr. Netze rasten beim Bunker. Wir stehn immer mit zwei Handgranaten. In einer Kiste im Bunker liegt geballte Ladung, bestimmt, einem Panzer an die Laufketten geworfen zu werden. Am Horizont die zerbrochene Silhouette des Stahl- und Aluminiumwerks, Brände, Leuchtschirme der Feindflieger, zu denen die Soldaten „Nachtlichtl“ sagen. Auf Wache I bekomme ich zum ersten Mal ein Gegen-Flugblatt zu Gesicht, das von der Sinnlosigkeit des Krieges und seiner Aussichtslosigkeit spricht und von einer Nationalregierung „Freies Deutschland“ kündet. – Im Trommelfeuer und Bombenhagel! Nun, Herz, sei stark und mutig! Kommen wir durch???

19. Oktober 1943. – Saporoshje in Flammen! Vom Turm gesehn. Bataillons-Wache im Granatfeuer und Fliegerangriff. In letzter Stunde abgelöst. Marsch nach Chortitza. Müssen das schwere MG.-Wägelchen ziehn. Die Stadt im Bombardement. Plötzlich eine lange Kette von Explosionen – Stalinorgel. Von Chortitza ohne Aufenthalt nach Schönhorst. Dort reinliche, schöne Quartiere. Ergreifend die frommen, deutschen Wandsprüche der Abgesiedelten. Früher Aufbruch. Mit LKW auf die Insel Chortyzja.

Straße, vom Feind eingesehn, liegt im Granatfeuer. Mit vollem Gepäck und Kisten Munition durchs Feuer. Die Insel in schönen Herbstfarben. Erinnerung an Löns. Eichen und Birken gilben. Elstern, Raben und Wildgänse beobachtet. […] Schlaf im Dünensand, im selbstgegrabenen Erdloch. Regen. Zeltblatt übers Loch gespannt, Füße frei. Granaten jaulen zum Feind. Einschläge. MG. Gewehrschüsse. HKL [Hauptkampflinie] – 500 m von uns. Wir bauen Stellungen im Dünensand. Ich schneide Weiden für Flechtwerk. Schlaf im Zelt. Bunker wird begonnen. Plötzlich abberufen. Nächtlicher Abmarsch. Von Ratas umflogen. […]

[29. 10.] Schlaf in einer Schule. Überm Eingang noch der Sowjetstern. Auf der Tafel eine Kinderzeichnung: Haus mit Garten. Überall zeichnen die Kinder gleich. In den Hütten: den meisten Raum nimmt der Ofen ein, der mit Stroh geheizt wird, mit Sonnenblumenstengeln. Öllämpchen flackert, meist ein Fläschchen und Docht. Heiligenbilder glitzern golden. Draußen im Freien die Kühe angehängt. Über ihren Hörnern in großer Klarheit am dunklen Steppenhimmel Mond und Sterne. Erinnerung an die Verse von Jessenin. – Wenig zu essen. Zwei Tage kein Brot. Marsch über völlig baumlose Höhenrücken. Nacht bei einer verwitweten Kolchos-Arbeiterin mit drei Kindern. Sie kocht drei Hühner mit Kartoffeln. Weiter. Granitufer, Hütten, Strohtristen, fahle Fluren, schwarze umgebrochene Äcker als Flecken der Landschaft. […]

Nebel. Am 2. November mittags Licht und pastellene Farben. Strohtristen und Mühlen. Ein Bächlein fließt über Granitblöcke. Dorfteiche voll Enten. Pferde in der Schwemme. Stehe Posten nachts beim Troß. Pferde unter freiem Himmel. Franz Marc fällt mir ein, seine Briefe aus dem Felde. Trost empfange ich aus der Wirklichkeit des Reiches der Kunst und der Religion. […]

16. I. 44. Eine Woche schon hausen wir in der Schusterkate, schlafen im Stroh, von Ungeziefer geplagt. Die Leutchen sind sehr gut. […] Ich bin tief unten. Sehnsucht nach Kindern und Frau macht mein Herz sehr schwer. Das große Sterben an der Front, an der Heimat tritt mir vor Augen. Todesklänge. An Trakl muß ich denken, an das Gedicht „Grodek“. „Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.“ Wann darf ich wieder aufatmen? Schon lang unter trüben Sternen … Das Bataillon soll in Marsch gesetzt sein. Ungewißheit für die nächsten Tage. Aber noch eine Nacht darfst du 12 Stunden liegen, beten, träumen, dich sehnen …

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