von Jakob Ungelter
Daß das Trinken den Menschen vor dem Vieh auszeichnet, beweist die Tatsache, daß das Vieh nur trinkt, wenn es Durst hat. Die Bedeutung des Wassers ist als physiologische Notwendigkeit unbestritten, soll aber hier nicht näher betrachtet werden, wenngleich es auffällt, daß vor allem in der Stadt heutzutage im Sommer kaum junge Frauen ohne Wasserflasche anzutreffen sind.
Das Humanum ist das alkoholische, zu Recht auch geistig genannte Getränk: vor allem Wein, Bier und gebrannte Wässer, Getränke, die geeignet sind, den Menschen in gehobene Zustände zu versetzen. Im Arabischen soll es mehr als hundert Begriffe für den Löwen geben – im Gesamtdeutschen sind es für das Trinken und den Rausch kaum weniger. Einige Beispiele nur aus dem Wienerischen: saufen, kübeln, süffeln, schütten, tschechern, trankeln bzw. Spitz, Schwül, Fettn, Rakete, Fetzn, Dampf, Welln, Schweigl, Radierer – wobei der Zustand zuweilen auch poetisch erhöht wird, wenn jemand sich „fett wie die russische Erde“ wähnt.
„Doch nur vom Wein lebt der waffengewaltige Odin.“
Die Zuwendung zum Trunk reicht weit in die Vorzeit zurück. Durch Quellen belegt ist vor allem das kultische Trankopfer, die Libation, wie im Kult des Dionysos’. Die Gottheiten zogen aus dem Trinken riesenhafte Kräfte: „Doch nur vom Wein lebt der waffengewaltige Odin.“ Im Alten Testament finden wir Noah, der den Weinstock kultiviert und sich heftig betrinkt. Im Christentum spielt der Wein eine zentrale Rolle in der Eucharistie. Aber schon der junge Jesus bringt in Kanaan mit seinem Wunder Freude ins Volk. Dem Bier widmet sich in ähnlicher Weise der Heilige Arnold: Bei seinem Begräbnis legte der Trauerzug eine große Strecke zurück, wobei zuletzt das Bier ausging. Der Führer des Zuges rief die Hilfe des Heiligen um Labung für die durstige Menge an, worauf plötzlich alle auf der Brust das Gewicht eines Gefäßes frischen Bieres verspürten. Dieses „Wunder von Champigneulles“ brachte Arnold die Heiligsprechung. Die Wohltat des Biergenusses rühmt auch die Inschrift eines Südtiroler Wirtshauses: „Des Morgens ist ein Bier so gut, desgleichen am Mittage, des nachmittags kein Schaden tut, schafft’s abends keine Plage, herentgegen soll ein Branntewein gen Mitternacht nit schädlich sein“.
Die Verbindung von Frömmigkeit und trinken kommt den Gläubigen sehr entgegen. Zu Ehren des heiligen Johannes’ des Evangelisten wird die „Johannisminne“ getrunken, wobei die Ernsthaftigkeit durch die anschließende Nagelprobe geprüft wird – das Austrinken war stets wichtig, was schon Johann Fischart im 17. Jh. betont: „Sauft’s aus, halbtrinken ist bettlerisch!“. Der Brauch wird später auf den Heiligen Stephanus ausgeweitet; der noch heute weit verbreitete „Stefanifrühschoppen“ am 26. Dezember steht in dieser Tradition. Das Minnetrinken zu Ehren des Stephanus’ nahm allerdings ein Ausmaß an, das die Kirche zum Einschreiten veranlaßte. Die Kirche, Kleriker und Ordensleute, hatte eben nicht nur hohe Verdienste in Kultur und Verbreitung des Weinstocks, sondern auch im Konsum. Der heilige Benedikt empfahl den Brüdern Abstinenz, zu besonderen Anlässen gönnte er aber jenen, die dem Weine nicht entsagen konnten, täglich eine Hemina Wein.
Das Trinken zu besonderen Anlässen wird oft streng ritualisiert: auf Gesundheit oder Bruderschaft trinken, zum Gedenken oder zur Bekräftigung von Verträgen. Besonders die Studentenschaft praktizierte dies, indem man philologisch verbrämt utiliter, realiter, familiariter, mirabiliter und solemniter trank. Noch heute pflegen Studentenverbindungen ein ebenso heiteres wie kompliziertes Regelwerk, den „Bierkomment“; Regelverstöße ahndet der Trunk.
Die Heilkraft von Bier und Wein wird seit alters her gepriesen und in vielen Rezepten beschrieben. Nach Hildegard von Bingen kräftigt der Wein das Fleisch und gibt eine schöne Gesichtsfarbe. Ein pommersches Rezept gegen Kniescheibenzittern, Würmer und Auszehrung empfiehlt, morgens ein über einen Igel und eine Kröte abgezogenes Bier zu trinken, was sich aber nicht durchgesetzt hat. Am Rande sei auch die Ophtalmologie gestreift: „Trinke Mädchen, trinke schnell, trinken macht die Äuglein hell“, heißt es im Lied, und vielleicht gibt es hier einen Kausalbezug zu einer niederösterreichischen Volksweisheit, demnach der Branntweingenuß durch eine Schwangere dem Kind „schöne Augen“ verleihe – was allerdings ästhetisch zu prüfen wäre, ebenso wie die entsprechenden Ergebnisse der Intelligenzforschung. Zur Ästhetik aber leistet der Wein seinen Beitrag unzweifelhaft schon durch die anerkannte Wirkung des „Schöntrinkens“ von im nüchternen Zustand unansehnlichen Wesen.