von Ronald Friedrich Schwarzer , Impresario, Waldgänger und Partisan der Schönheit
Vor einigen Jahren führte mich der Pilgerweg von Rom nach Bari durch die kleine Ortschaft Torella dei Lombardi, ein Nest auf fast 700 Metern Seehöhe, etwa 25 km südlich von Benevent. Eine kleine Osteria gab es dort, und eine hübsche blonde Kellnerin nahm meine Bestellung auf. Bald servierte mir eine andere Blondine, und ich fragte erstaunt, ob das Blondieren Mode unter den Mädchen der Ortschaft sei. Völliges Unverständnis schlug mir entgegen: „Wieso denn das – wir sind doch alle blond!“ Ich sah mich um. Tatsächlich, da saßen Bauern, Bauarbeiter und Kleingewerbetreibende – alle blond und blauäugig! Die Langobarden hatten wohl ihre Spuren hinterlassen.
Wieviele Völkerschaften, Stämme und Wehrgemeinschaften hat es doch seit der Spätantike in das Land, wo die Zitronen blühen, gezogen! Während ein Teil der Germanen sich für sechs Monate Winter und sechs Monate schlechtes Wetter entschied, hatten die Klügeren den Drang nach Süden. Ihre Selbstbezeichnungen täuschen. Goten, Vandalen, Sueben, Burgunder, Alemannen und Franken waren keine geschlossenen Völker oder genetisch scharf umrissene Stämme. Zumeist Wirtschaftsmigranten auf der Flucht vor den Hunnen, denen sie sich freilich gelegentlich auch anschlossen, bildeten sie Verbände auf der Grundlage einer Leitkultur und gemeinsamen Religion. Germanophilen Freunden von Odin und Thor sei gesagt, daß kein zivilisierter Germane im 4. Jh. mit diesen etwas anfangen konnte. Sie waren arianische Christen, und das war das, was sie vielleicht am meisten einigte.

Bei der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern standen Westgoten auf der Seite Roms gegen Ostgoten im Heer der Hunnen. Nach der Niederlage mußten die Ostgoten sich gleichsam neu erfinden, und nach einigen Jahren fröhlichen Plünderns am Balkan nahm ihr junger König Theoderich das Angebot des oströmischen Kaisers freudig an, in dessen Namen die gleichfalls germanischen Heruler unter Odoaker aus Italien zu vertreiben. In der Rabenschlacht anno 493 feierte er einen glänzenden Sieg über den selbsternannten Rex Italiae und nahm seine Position ein. Raben – das ist Ravenna, und dort setzte sich dann der deutsche Sagenheld Dietrich von Bern fest; und Bern, das ist Verona, dort residierte er auch gelegentlich.
Theoderich verbrachte seine Jugend als Ehrengeisel am oströmischen Hof in Konstantinopel und war so gesehen bestens integriert und dreisprachig: Gotisch, Latein und Griechisch beherrschte er fließend. Roms kulturelle Kraft war damals noch so stark, daß Theoderich nicht einmal daran denken mochte, ihr etwas entgegenzusetzen. Bruchlos führte er die römische Mosaikkunst des Mausoleums der Galla Placidia in seinen Gotteshäusern fort. Die Ruine, die als Palast Theoderichs gezeigt wird, besuchen die Touristen gerne, allein sie stammt aus dem 8. Jh. Am tatsächlichen Palast bedienten sich geschichtsbewußte Potentaten seit mehr als 1.000 Jahren, Karl der Große sandte Säulen nach Aachen für seine Pfalzkapelle.

Kurzlebig war die Herrschaft der Goten in Italien, und es mangelte auch an Willen und Substanz, Eigenes zu schaffen.
So nimmt es nicht Wunder, daß Rom – also Konstantinopel – nachdem es sich vom fast 200jährigen Germanensturm erholt hatte, unter Kaiser Justinian in Italien wieder reinen Tisch machen wollte. Ravenna wurde zum Verwaltungssitz des Exarchats, und gereinigt wurde wirklich: Was arianisch war, wurde katholisch, und gotische Potentaten auf Mosaiken wurden ausgelöscht. Ein Porträt von Theoderich – das einzige, das wir besitzen – war dann doch zu schön, als daß man es hätte zerstören wollen. Man tauschte nur die Beschriftung aus und flugs wurde aus König Theoderich Kaiser Justinian.
Vielleicht hat der Gotenkönig die langfristige Unterlegenheit seines Volkes gegenüber Rom vorausgeahnt. Sein Regierungschef Boetius stammte aus feinstem altrömischen Senatorenadel, und zunächst war es des Königs Anliegen, auf diese Weise Goten und Römer zu versöhnen. Dann stürzte Boetius über eine Intrige, und Theoderich ließ ihn über die Klinge springen. Der König konnte sich diesen Unrechtsakt nimmermehr verzeihen und fiel in Schwermut. Um ihn zu erfreuen, bereitete man ihm sein Lieblingsgericht, einen prächtigen Karpfen. Kaum sah er den fetten Fisch, meinte er, Boetius starre ihn aus den kalten Fischaugen an und verschied an einem Herzinfarkt. Finis Goticae!