Magdalena S. Gmehling
Kardinal József Mindszenty, Fürstprimas von Ungarn und Erzbischof von Gran, starb vor fünfzig Jahren.
Sehr genau entsinne ich mich des Aufsehens, welches seinerzeit die am 1. Oktober 1974 im renommierten Propyläen Verlag erschienenen Memoiren des Fürstprimas’ von Ungarn, Kardinal József Mindszenty, erregten. Das Werk von über 400 Seiten erschien noch im selben Jahr in vier Auflagen. Der durch den Kampf gegen den Kommunismus berühmt gewordene Bekenner schildert in seinen Erinnerungen, die in allen Sprachen der nichtkommunistischen Welt erschienen, minutiös die Zustände einer brutalen und chaotischen Epoche.
Mindszenty wurde am 29. März 1892 als erstes von sechs Kindern des Weinbergbesitzers János Pehm in Csehimindszent, Komitat Eisenberg, Österreich-Ungarn, geboren. Nach seinem Geburtsort („mind“/allumfassend und „szent“/heilig) nannte er sich ab 1941 unter dem Einfluß der politischen Verhältnisse und des verpönten deutschen Wortstammes „Pehm“ Mindszenty. „In unserem Heim waltete still die Liebe einer gescheiten und gütigen Mutter. Sie gab uns Wärme, Geborgenheit und zusammen mit Vaters Tatkraft ein leuchtendes Beispiel. Beharrlichkeit und Umsicht meiner Eltern ließen auch höhere Pläne reifen. Ich verdanke es ihnen, daß ich nach Abschluß der Volksschule aufs Gymnasium gehen durfte.“, so Mindszenty in seinen Erinnerungen. Der hochintelligente Junge studiert ab 1911 Theologie und wird am 12. Juni 1915 zum Priester geweiht. 1917 ist er Religionslehrer am Gymnasium in Zalaegerszeg und arbeitet auch als Redakteur des Wochenblattes Komitates Vas. Als nach dem Zerfall der Doppelmonarchie 1918 Mihály Károlyi die Republik Ungarn ausruft, kritisiert Mindszenty dessen links gerichtete Partei in Zeitungsartikeln scharf und übernimmt 1919 die Führung der neugegründeten Christlichen Partei im Wahlkampf. Am 9. Februar wird er verhaftet und erhält Redeverbot in der Öffentlichkeit. Erst am 21. März erlangt er wieder die Freiheit. Fast ein Vierteljahrhundert entfaltet Mindszenty nun als Stadtpfarrer von Zalaegerszeg ein kluges und segensreiches Wirken.
Auf Empfehlung des ungarischen Nuntius’, Angelo Rotta, ernennt am 4. März 1944 Papst Pius XII. József Mindszenty zum Bischof der Diözese Veszprém. Doch die Ereignisse in Ungarn überstürzen sich. Bereits seit 1920 war der österreichisch-ungarische Admiral Miklós Horthy Reichsverweser und näherte sich seit den 1930er-Jahren aus revisionistischen Gründen immer mehr dem nationalsozialistischen Deutschland an. 1943 nahm er jedoch mit den Alliierten Kontakt auf, da er das blamable Kriegsende vorhersah. Daraufhin besetzten die Nationalsozialisten am 19. März 1944 Ungarn. Der Pfeilkreuzler Ferenc Scálasi übernimmt die Regierung. Westungarn wird zur Bühne eines blutigen Schauspiels, Hunger, Elend und Vergewaltigungen durch die brutale Soldadeska sind an der Tagesordnung. Auch beginnen die Judendeportationen, obwohl die Bischöfe mit Mindszenty dagegen offiziell protestieren, denn die Bischöfe Lajos Shvoy, Vilmos Apor, József Mindszenty und Erzabt Chrysostomus Kelemen verfassen am 31. Oktober 1944 ein Schreiben, in dem es u.a. heißt:
(…) Zehntausend unserer Brüder sind schon in diesem Weltkrieg als Helden für das Vaterland gestorben. Es ist aber niemand befugt, eine ganze Nation zum Selbstmord zu zwingen. Gewissen und Verantwortungsgefühl gestatten dies nicht. (…) Wir sind Ungarn (…) und wollen auch weiterhin in untrennbarer Schicksalsgemeinschaft mit unserem Volke leben. Wir sind durch Gott, den hl. Stephan, durch tausendjährige Gesetze zur Einflußnahme auf die Staatsführung bestellt.
Im November wird Mindszenty zusammen mit 26 Priestern und Theologiestudenten verhaftet und in eine Strafanstalt bei Sopron überführt. Erst als die Rote Armee Westungarn erobert hat, kann er in die Diözese Vezprém zurückkehren. Die Bischöfe János Mikes und Vilmos Apor bezahlen ihr mutiges Eintreten für Frauen, die von Vergewaltigung bedroht sind, mit dem Leben. Am 4. April 1945 verlassen die letzten deutschen Truppen das Land. Ungarn steht nun unter sowjetischer Besatzung. Die Regierung verlegt ihren Sitz nach Budapest. Nach dem Tod des bisherigen Primas’ Serédi ernennt Papst Pius XII. am 16. September 1945 Mindszenty zu dessen Nachfolger als Erzbischof von Esztergom und Fürstprimas von Ungarn. 1946 wird er Kardinal.
Der neue Primas lehnt jegliche Kompromisse mit Kommunisten ab.
Er ist die Symbolfigur des Widerstandes gegen die materialistische Weltanschauung. Auf seinen Auslandsreisen – der Eiserne Vorhang ist noch nicht ganz geschlossen – wirbt er bei den Exilungarn um Unterstützung für den Wiederaufbau seines kriegsgebeutelten Landes. Immer wieder wendet er sich scharf gegen die Beeinträchtigung der Gewissensfreiheit, prangert die groben Gesetzwidrigkeiten bei den Wahlen und die Verstaatlichung der Bekenntnisschulen an. 1947 verschärft sich die Lage der Kirche: Der Primas weigert sich, die kommunistische Regierung anzuerkennen. Die Hetze gegen seine Person, den angeblichen Staatsfeind, verdichtet sich. Sein Sekretär wird verhaftet und gefoltert. Er selbst gibt eine Erklärung ab, in welcher er schriftlich festhält, daß er nie freiwillig abdanken werde oder ein „Geständnis“ abzulegen bereit sei. Der tapfere Mann ahnt, was ihm bevorsteht. Am Stephanstag 1948 wird er verhaftet. Mindszenty schreibt:
Wer nie in der Andrássystraße verhört oder gefangen gehalten wurde, kann sich das Grauen, das sich dort abspielte, nicht vorstellen. (…) angekommen wurde ich in einen kalten Raum geführt, (…) wo sich sofort eine größere Menschenmenge versammelte, um beim Kleiderwechsel zuzusehen. Der Polizeimajor und ein hinkender Geheimpolizist griffen nach mir, zogen mir den Talar aus, unter dem grölenden Gelächter der Versammelten zuletzt auch die Unterwäsche. Ich bekam einen weiten, bunten, orientalischen Hanswurst-Anzug.
„Du Hund, wie lange haben wir auf diesen Augenblick gewartet!“, brüllt ihn sein Peiniger an.
Es handelt sich um den Polizeioberst Gyula Décsi. Der Primas wird in eine schmutzige Zelle gebracht, jede Nacht mehrmals zum Verhör geholt und täglich brutal mit Gummiknüppeln geschlagen. Wenn er zu beten versucht, verhöhnt man ihn durch unflätige Reden. Den Folterungen wohnt Generalleutnant Gábor Péter, ein sadistisches Ungeheuer, bei. Drogen werden dem Essen beigemischt. Man will Mindszentys Geständnis, er sei ein Vaterlandsverräter, erzwingen, um ihn in einem Schauprozeß vorzuführen. Nach 39 Tagen der Folter unterschreibt der Gequälte, allerdings mit dem Zusatz C.F. (coactus feci = ich tat es gezwungen). Vom 3. bis 5. Februar 1949 findet der Schauprozeß statt. Der Fürstprimas wird wegen Umsturzes, Spionage gegen Ungarn und Devisenvergehen zu lebenslanger Haft verurteilt. Lange Jahre der Demütigungen unter der fürchterlichen Gewalt des Bolschewismus’ beginnen. Mindszenty stellt keinen Amnestieantrag. Er wünscht eine vollständige Rehabilitation.
Am 23. Oktober 1956 beginnt der ungarische Volksaufstand.
Die Soldaten unter Führung von Anton Pallavicini befreien den Primas. Im Triumph wird er nach Budapest gebracht. Er unterstützt die neue Regierung unter Imre Nagy. Zusammen mit Amtsbrüdern beschließt er, sofort die „Friedenspriester“, die mit dem Staat kollaborieren, zu entlassen. Doch der Aufstand wird durch russische Truppen blutig niedergeschlagen. Mindszenty flieht in die amerikanische Botschaft und erhält dort auf Vermittlung Imre Nagys Asyl.
Im Westen ist die Zeit des Liberalismus’ und Neomodernismus’ angebrochen. Das heroische Verhalten des ungarischen Primas’ findet nur bedingt Verständnis. Die USA wünschen eine Beendigung des Kalten Krieges. Der Vatikan sucht eine Annäherung an die kommunistischen Staaten Osteuropas. Die verräterische und feige Ostpolitik des Heiligen Stuhles trifft den Kardinal zutiefst. Mindszenty erkennt, daß er in der Botschaft nicht mehr erwünscht ist. Nach 15 Jahren Aufenthalt reist er 1971 aus. Der Montinipapst zwingt ihn am 1. November 1973 zum Rücktritt als Erzbischof von Esztergom. Am 7. Jänner 1974 bittet der greise Kardinal um Widerruf dieser Entscheidung, was allerdings aus pastoralen Gründen abgelehnt wird. Am 5. Februar 1974 wird er seines Amtes enthoben. Der letzte Fürstprimas von Ungarn stirbt am 6. Mai 1975.