Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Stauffenberg – Verräter, Held, Stümper, Kult?

von Erik Lehnert

Am 20. Juli 1944 stellte sich heraus, daß eine Gruppe von deutschen Generälen zunächst gegen den Krieg und, als er doch kam, gegen den Sieg, der für sie Hitlers Sieg war, gearbeitet hatte. Sie handelte aus ehrlicher politischer Überzeugung. Es waren vorsichtige Planer. Um ihre Ziele und die unersetzlichen Männer, die die künftige Regierung bilden sollten, nicht zu gefährden, zögerten sie fünf Jahre, ehe sie sich an den „Iden des März“ entschlossen, Hitler eine Aktentasche mit Sprengstoff vor die Füße zu stellen. Der Anschlag mißlang. Hitler fällte über sie das Urteil: Verräter. Sieben Jahre nach dem Kriege fällte ein deutscher Gerichtshof das Urteil: Helden. Das Urteil der Geschichte wird jenseits von Gut und Böse stehen.

„Aus heißer Vaterlandsliebe und selbstlosem Verantwortungsbewußtsein“

Mit diesen Worten beschreibt Joachim Fernau in seiner populären Geschichte der Deutschen Deutschland, Deutschland über alles… den Weg zum 20. Juli 1944. Der letzte Satz steht allerdings nur in den Ausgaben, die zwischen 1952 und 1966 erschienen sind. Den Originalsatz hatte ihm der Lektor gestrichen: „Das Urteil der Geschichte wird lauten: Stümper.“ 1967 konnte ihn Fernau wieder einsetzen. Daß der Lektor 1952 eingriff, war kein Wunder, denn im März 1952 war der Prozeß gegen Otto Ernst Remer zu Ende gegangen. Der ehemalige Offizier, der eine Schlüsselrolle bei der Niederschlagung des Aufstandes am 20. Juli 1944 spielte, hatte Stauffenberg und seine Mitverschwörer 1950 als Landesverräter bezeichnet. Darauf wurde er wegen Verleumdung angeklagt. Das Gericht kam zu dem Schluß, daß keiner der Verschwörer als Landesverräter bezeichnet werden dürfe, weil sie „durchweg aus heißer Vaterlandsliebe und selbstlosem, bis zur bedenkenlosen Selbstaufopferung gehendem Verantwortungsbewußtsein gegenüber ihrem Volk die Beseitigung Hitlers und damit des von ihm geführten Regimes erstrebt“ hätten.

Als nahezu einziger Wehrmachtsoffizier genießt Stauffenberg heute kultische Verehrung.

Seit diesem Urteilsspruch hat sich das Bild von Stauffenberg vollständig gewandelt. Aus dem Attentäter, der wegen Hochverrats noch in der Nacht zum 21. Juli 1944 standrechtlich erschossen wurde, ist der nahezu einzige Offizier der Wehrmacht geworden, der noch heute kultisch verehrt wird. Die offiziellen Reden am Jahrestag des 20. Julis huldigen ihm, und in der Bundeswehr ist er omnipräsent; sogar die Rechte hat ihn im Laufe der Jahre zu einer einsamen Größe gemacht. Schon 1958 fiel einem aufmerksamen Beobachter darin ein Widerspruch auf:

(…) allenthalben wird der „20. Juli“ so selbstverständlich bejaht, ja geradezu von Amts wegen verklärt, daß er seines atemberaubend ungewöhnlichen Charakters verlustig zu gehen droht (…). Man kann eine revolutionäre Haltung von dieser Art nicht gut lehren, tradieren, in Straßennamen oder etwaigen Orden konservieren und zum allgemeinverbindlichen Rezept proklamieren, ohne das Eigentliche daran zu verwässern.

Die Sätze stammen von Ulrich Mann, einem heute vergessenen evangelischen Theologen, der seit 1934 als Soldat und später als Offizier diente, nach der englischen Kriegsgefangenschaft Theologie studierte und schließlich Professor in Saarbrücken wurde. Das Buch, aus dem die Sätze stammen, trägt den Titel Lorbeer und Dornenkrone. Eine historische und theologische Studie über das Wehrverständnis im deutschen Soldatentum. Im Gegensatz zur heutigen Eindimensionalität hatte Ulrich Mann durchaus ein Gespür für die Tragik der militärischen Widerstandsbewegung. Er bejahte sie grundsätzlich als Ehrenrettung der Armee, legte gleichzeitig aber Wert darauf, daß dieses „Ja“ das „Nein“ dialektisch aufheben müsse. Er sah die militärische Widerstandsbewegung durch manches belastet, „was man nicht rundweg bejahen kann“. Das wären dann neben dem langen Zögern und dem späten Zeitpunkt der Tat, letztlich die „Stümperei“, die Eidproblematik, die Momente der Sabotage, Verrat von Angriffsterminen, und die Aussichtslosigkeit, die selbst bei einem Erfolg zu befürchten war.

Kann Stauffenberg als Offizier Vorbild sein?

Grundsätzlich stellt sich daher die Frage, wie weit das „Ja“ zur Tat trägt, was es an positivem, traditionswürdigem Gehalt vorweisen kann. Da Stauffenberg als Offizier handelte, kann die Frage nur lauten, ob er als Offizier Vorbild sein könne. Das Attentat auf den höchsten Vorgesetzten und die Verschwörung gegen ihn waren zu allen Zeiten schwerste Verbrechen, auf die der Tod stand. Auch wenn sie oft bemüht werden, hilft uns hier zunächst weder die legendäre Verweigerung von der Marwitz’ gegenüber Friedrich II., noch die Insubordination von Yorks gegen Friedrich Wilhelm III. weiter. Damals ging es nicht um Verschwörung, erst recht nicht um den Tod des Königs.

Nun hatten die Befreiungskriege für Stauffenberg eine besondere Bedeutung. Nicht zuletzt die Tatsache, daß er ein Nachfahre Gneisenaus war, den er bewunderte, hatte ihn dazu bewogen, 1926 überhaupt die militärische Laufbahn einzuschlagen und in die Reichswehr einzutreten. Hinzu kamen das Loblied des Dienstes, das sein Meister Stefan George geschrieben hatte, und die Überzeugung, daß es angesichts der politischen Lage, in der sich Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg befand, dringend einer Stärkung der Wehrkraft bedurfte. Er wollte dem Idealbild des „gebildeten Offiziers“ entsprechen, der nicht nur führt, weil er mehr kann als die anderen, sondern auch, weil er mehr an sich arbeitet und mehr ertragen kann. Dementsprechend ließ eine hervorragende Beurteilung des Oberleutnants 1933 selbst seine „kleinen Mängel und Schwächen“ in einem milden Licht erscheinen:

Seines militärischen Könnens und seiner geistigen Überlegenheit bewußt, neigt er gelegentlich gegenüber Kameraden zur Überheblichkeit, die sich leicht spöttisch äußert, aber nie verletzend wirkt. Etwas salopp in Haltung und Anzug, dürfte sein Auftreten als junger Offizier etwas frischer und energischer sein. Er ist etwas anfällig gegenüber Halsentzündungen, wodurch seine körperliche Widerstandskraft manchmal beeinträchtigt wird. Mit Energie und zähem Willen kämpft er dagegen an.

Zahlreiche Spekulationen über die Motive des Attentäters

Stauffenberg war zweifellos ein hervorragender Offizier, dessen militärische Karriere am 1. Juli 1944 mit der Beförderung zum Oberst ihren Höhepunkt erreichte. Als Stabschef des Ersatzheeres hatte er zudem alle Möglichkeiten, die Pläne des militärischen Widerstandes voranzutreiben. Über die Motive, warum er überhaupt zum Verschwörer und Attentäter wurde, ist viel spekuliert worden. Am ehesten dürfte die Entfremdung Stauffenbergs von der Führung des Dritten Reiches durch die verbrecherische Behandlung der Bevölkerung in den besetzen Gebieten im Osten und die sich abzeichnende Unfähigkeit der Führung, auf die militärischen Probleme an der Ost- und später an der Westfront die richtigen Antworten zu finden, zu erklären sein. Beides kommt in der Überzeugung Stauffenbergs zusammen, nur gemeinsam mit den Ostvölkern erfolgreich gegen den Bolschewismus kämpfen zu können. Auch wenn „Tauroggen“ im Widerstand damals kaum eine Rolle spielte, gibt es eine Überlieferung, die es unfreiwillig zum Schlüssel für Stauffenbergs Tat macht. Der Ordonanzoffizier des Generalfeldmarschalls von Manstein berichtet von einer Besprechung mit Stauffenberg Ende Januar 1943:

Dann hörte ich aus dem Zimmer des Feldmarschalls ein Wort, das mich erstarren ließ. Stauffenberg hatte es gesagt: „Tauroggen“. Es folgte eine Pause. Dann kam Mansteins Stimme, in großer Erregung: Tauroggen habe mit der augenblicklichen Lage nicht das Geringste zu tun. Stauffenberg möge sich mit solchen Gedanken gefälligst zurückhalten. Der aber parierte geschickt: Der Herr Feldmarschall habe ihn offenbar mißverstanden; mit Tauroggen habe er nicht im Entferntesten sagen wollen, daß man einen Fühler zu den Russen ausstrecken solle. Im Gegenteil, davon könne überhaupt keine Rede sein. Was er mit Tauroggen sagen wolle, sei die Überlegung, ob man nicht auf irgendeine Weise vollendete Tatsachen schaffen solle. Und wörtlich: „Auch Tauroggen barg höchste Loyalität“.

Zunächst ist damit klargestellt, daß die „höchste Loyalität“ nicht der Führung, sondern dem Überleben des Volkes dient. Was dazu notwendig ist, muß getan werden. Es gibt genügend Anhaltspunkte, die dafür sprechen, daß Stauffenberg mit einem Staatsstreich das Ruder militärisch noch einmal herumreißen wollte. In einem letzten, ihm zugeschriebenen Dokument tauchen Argumente auf, mit denen sich Stauffenberg schon lange beschäftigt hatte: die Unfähigkeit der Führung, die unzweckmäßige Führungsstruktur des Heeres und die falsche Behandlung der Ostvölker. Moralische Gründe finden sich dort nicht, auch keine Aussage, die sich als „Aufstand des Gewissens“ zur Rettung der Ehre interpretieren ließe.

„Wir wollen“, heißt es im Schwur des 20. Julis, „Führende, die aus allen Schichten des Volkes wachsen, verbunden mit den göttlichen Mächten, durch großen Sinn, Zucht und Opfer den anderen vorangehen.“ Dies wollte Stauffenberg zweifellos: Verantwortung für das deutsche Volk übernehmen. Dafür war er bereit, sein Leben zu opfern, wie es so viele seiner Kameraden bereits vor ihm getan hatten. Bei ihm war es ein freier Entschluß. Dieser ist vorbildhaft, wenn man ihn nicht losgelöst vom Ziel betrachtet, das den heute propagierten Werten entgegensteht.

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