von Martin Hobek
Seit fast eineinhalb Jahrtausenden leben Deutsche und Slawen in Kärnten. Bis ins 19. Jh. wurden letztere generell „Windische“ genannt, wie auch in verschiedenen anderen östlichen Grenzregionen des deutschen Sprachraumes. In Kärnten zeugen Flur- und Ortsnamen von ihnen wie die Windische Höhe oder Windisch Bleiberg.
Als die slawischen Völker ihr „nationales Erwachen“ verspürten, kam es auch zu Vereinnahmungsversuchen. Die Tschechen etwa wollten die Lausitzer Sorben und die Weinviertler Kroaten – die Streusiedlung der vor 400 Jahren vor den Osmanen geflüchteten „Burgenland-Kroaten“ reichte ursprünglich bis nach Südmähren – überzeugen, daß sie Tschechen seien und sich schriftsprachlich anpassen müßten. Im Gegensatz zu den erfolglosen Tschechen konnten die Slowenen bei den Kärntner Windischen anfangs durchaus reüssieren. Die Katholische Kirche ließ zu, daß ein gewisser Anton Martin Slomšek aus der Untersteiermark 1842 in Unterkärnten Schulaufseher und 1846 gar Fürstbischof der Diözese Lavant wurde. Es war ihr sogar recht, daß windischen Bauernkindern die slowenische Schriftsprache beigebracht wurde, damit der Einfluß des zumeist freisinnigen (deutschen) Dorfschullehrers möglichst geringgehalten wurde.
Linguistisch bestand für die Windischen zur deutschen und slowenischen Schriftsprache eine Äquidistanz.
Der slawischen Syntax stand nämlich ein stark deutsch durchsetztes Vokabular gegenüber. Einige Dokumente belegen, daß Südkärntner Gemeinden ersuchten, man möge ihnen amtliche Mitteilungen bitte auf Deutsch schicken, weil sie die slowenischen nicht verstünden.
Die meisten Kärntner Windischen deklarierten sich bei der Volkszählung 1910 als Slowenen. Kaisertreuer Patriot und slowenischer Katholik zu sein, war kein Widerspruch. 1918 kam das aber gehörig durcheinander. Nach dem legendären Kärntner Abwehrkampf – die Slowenen wollten das ganze Land für den neuen jugoslawischen SHS-Staat annektieren – setzten die Siegermächte im gemischtsprachigen Gebiet für den 10. Oktober 1920 eine Volksabstimmung an. Die Slowenen/Jugoslawen wollten eine Abstimmung nach Gemeinden, weil sonst das deutsche Klagenfurt im Alleingang den Ausschlag für Österreich gegeben hätte. Als Kompromiß in letzter Minute wurde das Abstimmungsgebiet in zwei Zonen geteilt. Allen war klar: In der südlicheren Zone A, wo sich 1910 mehr als zwei Drittel der Bewohner als Slowenen deklariert hatten, würde es eine deutliche Mehrheit für den SHS-Staat geben, in der Zone B anschließend ein Resultat von 90-95 % für Österreich.
Während der mehrmonatigen beinharten Propagandaschlacht vor der Volksabstimmung machten die Jugoslawen treffsicher alles falsch.
Die Südkärntner Slawen waren überwiegend in der Landwirtschaft tätig. Der Absatzmarkt Klagenfurt war überlebenswichtig. Bei einer Teilung Kärntens wären sie zwischen der Staatsgrenze entlang der Drau und den Karawanken eingekeilt worden. Auf ihrem täglichen Weg nach Klagenfurt hätten sie wertvolle Zeit an der Grenze verloren und Zoll für ihre Ware zahlen müssen. Auf dem Heimweg hätte man ihnen sicher etwas vom Umsatz weggenommen. Und dann wäre noch eine Gebühr fürs Umtauschen der österreichischen Kronen in jugoslawische Dinar fällig geworden. In südlicher Richtung wiederum lagen die damals für Pferdefuhrwerke unüberwindlichen Karawanken, auf deren anderer Seite sich ohnehin nur slowenische Bauerndörfer ohne Absatzmöglichkeiten befanden.
Die jugoslawische Propaganda reagierte darauf selbstmörderisch: Man versprach Exportverbote, damit „Juden und Schieber“ keine Hungersnöte auslösen könnten. Auf die besorgten Stammtischdiskussionen reagierten die SHS-Werber mit Spott und Drohungen. Auf einem Plakat beteten die als „Nemčurje“ („Deutschtümler“) bezeichneten Windischen den Klagenfurter Lindwurm als Götzen an, auf einem anderen wurden sie in einen Sack gesteckt und zum Ertrinken in die Drau geworfen. Die österreichische Seite unterließ solche Dummheiten und konzentrierte sich auf eine serbische Dominanz in Jugoslawien, von der auch die Slowenen nichts hätten. Daß Österreich nur mehr ein kleines Berufsheer erlaubt war, im SHS-Staat aber allgemeine Wehrpflicht bestand, wurde optimal verwertet: In deutscher und windischer (!) Sprache (Bild) bittet auf einem Plakat ein junger Mann seine Mutter, sie möge bitte für Österreich stimmen, damit er nicht für König Peter einrücken bzw. „ajnrukat“ müsse. Die Propagandamonate wirkten umwälzend: Viele tausend Südkärntner gingen in sich und fragten: Was hat uns das „slowenische Erwachen“ gebracht? Daß wir demnächst von unserem geliebten Kärnten getrennt werden und uns im nördlichsten Streifen eines Balkanstaates wiederfinden. Merkt man uns unser Unglück an, werden wir als „Verräter“ gebrandmarkt. Und als Lohn für das alles winkt uns der sichere wirtschaftliche Ruin. Diese Bauern, die an der neuen slowenischen Nation mitgebaut hatten, wie es der Pfarrer vorgab, wurden nun zu Nationalbewegungsverweigerern. Sie kamen zum Schluß: Wir wollen wieder Windische sein! Das ist so unkompliziert, und die Deutschen nennen uns ohnehin noch so. Am 10. Oktober 1920 stimmten in der Zone A 59 % für Österreich. Die Abstimmung in Zone B fand somit gar nicht mehr statt. In Laibach und Belgrad fiel man aus allen Wolken.
Nun herrschte wieder Friede, aber die Stimmung war vergiftet. Das Sprachrohr der slowenischen Volksgruppe, die beiden Pfarrer, die für die katholisch-konservative „Stranka“ im Landtag saßen, betonten bei jeder Gelegenheit, daß sie für Jugoslawien gestimmt hätten und Österreich nicht ihr Staat sei. Sie legten damit den Grundstein dafür, daß die „Nationalslowenen“ als separatistische Staatsfeinde gesehen wurden. Die „Deutschkärntner“ machten den Windischen 1930 ein Angebot – in Form einer Abhandlung des Kärntner Landesarchivars Martin Wutte, die bis heute von manchen als sog. „Windischen-Theorie“ verteufelt wird. Diese steht diametral zur Slowenen-Theorie von Anton Martin Slomšek. Kernaussage: Die Windischen sprechen eine deutsch-slawische Mischsprache und sind ein eigenes Volk. Die Adressaten, die traditionell geringgeschätzt wurden – eine der beliebtesten verbalen Schmähungen in Kärnten ist der „Windische Potukl“ –, nahmen nur zu gerne an, um sich von den Slowenen abgrenzen zu können.
1941 spitzte sich die Situation zu: In Belgrad wurde eine deutschfreundliche Regierung gestürzt, und die Wehrmacht marschierte in Jugoslawien ein. Die slowenische Volksgruppe geriet augenblicklich zu einer offiziellen „fünften Kolonne“ und bekam die nationalsozialistische Brutalität durch Deportation und Zwangsarbeit zu spüren. Viele Slowenen sahen ihren letzten Ausweg darin, sich den berüchtigten Tito-Partisanen anzuschließen. Diese wiederum suchten auf ihren Raub- und Mordzügen bevorzugt Windische heim. Als nach Kriegsende die Gefahr von Gebietsabtretungen zum zweiten Mal gebannt war – Tito hatte sich mit Stalin zerstritten –, konnte das Verhältnis zwischen Windischen und Slowenen nur mehr als „Todfeindschaft“ beschrieben werden. Die Windischen agierten überparteilich: Der Quasi-Parteihistoriker der SPÖ-Kärnten und ORF-Grande Bertl Petrei erzählte in seinen Büchern gerne über die dritte Volksgruppe, der ÖVP-Landtagsabgeordnete Albin Petschnig gründete einen „Bund der Windischen“, der über tausende ordentliche Mitglieder verfügte, und der langjährige FPÖ-Klubobmann im Kärntner Landtag Erich Silla, den Jörg Haider als seinen politischen Ziehvater bezeichnete, schilderte öfter, was die Tito-Partisanen seiner windischen Familie angetan hätten.
„Weinende Dritte“, feiernde Deutsche und ein bildungsferner Landeshauptmann
Sie alle verabsäumten es aber, die Schaffung einer windischen Schriftsprache zu initiieren. Der Schlüssel zu dieser Unterlassung findet sich in der Eigenbezeichnung der windischen Sprache, „po domace“, was sich am ehesten als das „Zuhäusliche“ übersetzen ließe. Man sprach Windisch in den eigenen vier Wänden und – sofern nicht in die Stadt gezogen – im Alltagsleben und Brauchtum der dörflichen Gemeinschaft.
Der entscheidende Schlag aber gelang Slowenenfunktionären in Wien: Sie erreichten, daß man sich bei Volkszählungen plötzlich nicht mehr als Windischer bekennen konnte. Vor die Wahl gestellt entschieden sich diese, fortan als Deutsche zu firmieren. Heute bekennen sich nur mehr einige hundert Menschen als Windische. Ihr Internetauftritt kaerntnerwindische.com ist zwar hochprofessionell, aber nicht nur wegen ihrer Überalterung stehen sie mittlerweile auf verlorenem Posten. Den Slowenen hat die Vernichtung der Windischen allerdings nichts gebracht.
Die Windischen waren in Kärnten immer die „weinenden Dritten“. Bertl Petrei berichtete, daß seine ebenfalls windische Großmutter sich an jedem 10. Oktober über die feiernden Deutschen geärgert habe: „Mi smu Abstimmungu gwinnali, mi!“ („Wir haben die Abstimmung gewonnen, wir!“). Wie würde sich Petreis Oma erst geärgert haben – gemeinsam mit den slowenischen Landtagsabgeordneten der Zwischenkriegszeit –, als der bildungsferne Landeshauptmann Peter Kaiser zum 100-Jahr-Jubiläum 2020 absurderweise den Slowenen dankte, weil sie das Referendum für Österreich gewonnen hätten…?