von Hermann Attinghaus
Vor 150 Jahren wurde der Dirigent, Cellist, Organist und Komponist Franz Schmidt in Preßburg geboren.
Zu Lebzeiten war er einer der erfolgreichsten österreichischen Komponisten seiner Zeit, war Ehrenmitglied der Wiener Philharmoniker, denen er 15 Jahre lang von 1896 bis 1911 angehörte. Bis 1914 war er überdies Solocellist des Wiener Hofopern- bzw. heutigen Staatsopernorchesters. Er war u. a. Träger des Franz-Joseph-Ordens und seit 1934 Ehrendoktor der Wiener Universität. Sein bedeutendstes Werk, das Oratorium Das Buch mit den sieben Siegeln, ist dem Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde zu deren achtzigstem Bestandsjahr gewidmet. Er ruht in einem Ehrengrab der Stadt Wien auf dem Wiener Zentralfriedhof. Eigentlich – sollte man meinen – müßten zumindest in Wien jedes Jahr Franz-Schmidt-Festtage veranstaltet werden. Aber selbst zu dessen 150. Geburtstag ist man in Wien untätig geblieben. Weder die Wiener Philharmoniker, noch die Staats- oder die Volksoper haben Schmidts Geburtstag gewürdigt. Nur der Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde, dem Schmidts Oratorium gewidmet ist, hat diesen Gedenktag mit einer Aufführung dieses Werkes am 31. Jänner mit den Wiener Symphonikern gewürdigt. Das einzige Festkonzert in diesem Jahr fand am 20. Juli in der Stiftsbasilika in Stams in Tirol statt. Dort spielte das Orchester der St. Blasius Akademie, an der Orgel Elias Praxmarer, unter der Leitung von Karlheinz Siessl das Opus Kreuzweg unseres Herrn und Heiland für Orgel und Streicher von Thomas Daniel Schlee (*1957) sowie das Intermezzo aus der Oper Notre Dame und die vierte Symphonie von Franz Schmidt.
Auf die Frage, warum die Gesellschaft der Musikfreunde Schmidts 150. Geburtstag übergehe, antwortete der Intendant Dr. Pauly, daß Das Buch mit den sieben Siegeln ohnehin in regelmäßigen Abständen gespielt werde. Alles andere wäre zu schwierig; da in anderen Ländern kaum Interesse an Schmidts Werk bestünde, gäbe es keine Möglichkeit zu einer internationalen Zusammenarbeit, und ohne eine solche Kooperation wäre ein solches Unterfangen zu teuer.
Eine „Unvollendete“ als Aufführungshindernis
Franz Schmidt, am 22. Dezember 1874 in Preßburg geboren, wurde schon im Kindesalter von seiner Mutter, einer ausgezeichneten Pianistin, mit den Werken Johann Sebastian Bachs vertraut gemacht, erhielt auch Unterricht in Musiktheorie und lernte Orgel und Klavier zu spielen. Als er vierzehn Jahre alt war, übersiedelte die Familie nach Wien, wo er am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde seine Studien 1896 mit Auszeichnung abschloß.
Schmidt war zeitlebens rastlos tätig als Musiker, auch als Dirigent, Organist und Kammermusiker – er spielte u. a. in einem Quartett mit Oskar Adler und Arnold Schönberg. Im Jahre 1914 wurde er Professor für Klavier an der Akademie (heute Universität) für Musik und darstellende Kunst in Wien, wurde 1925 deren Direktor und war von 1927 bis 1931 auch Rektor. Schmidt hatte zahlreiche bekannte Schüler wie den Pianisten Friedrich Wührer, den späteren Gesangspädagogen Walter Taussig, der mit einigen der bedeutendsten Sängern und Sängerinnen des 20. Jh. wie Maria Callas, Plácido Domingo und Birgit Nilsson gearbeitet hat, sowie die Komponisten Theodor Berger, Marcel Rubin und Alfred Uhl. Obwohl Schmidt als Spätromantiker mit der Avantgarde der Zwölftonmusiker wie Schönberg es war, nichts zu tun hatte, führte er dennoch 1929 dessen für damalige Zeiten ultramodernen Pierrot Lunaire auf. Nach Aussagen seiner Schüler konnte Schmidt außerdem beinahe alle damals bekannten Klavierkompositionen auswendig.
Sein Hauptwerk umfaßt zwei Opern – Notre Dame, 1914 in Wien und Fredigundis, 1922 in Berlin uraufgeführt, vier Symphonien sowie das erwähnte Oratorium. Außerdem schrieb er weitere Werke für Klavier, Orchester und Orgel sowie Kammermusik. Bis in die 1970er-Jahre wurden Schmidts Werke vor allem in Wien regelmäßig und höchst erfolgreich aufgeführt. Dann setzte eine Phase des Vergessens ein, bis man ihm schließlich vorwarf, daß er den Anschluß nicht abgelehnt und sich dem Auftrag, die Kantate Deutsche Auferstehung – eine Festkomposition auf den Anschluß zu komponieren, nicht widersetzt habe. Das Werk blieb allerdings unvollendet. Franz Schmidt starb am 11. Februar 1939 in Wien.