Deutsche in Bessarabien

von Jacob Ungelter

Deutsche Siedelung im Osten stellte sich im Laufe der Jahrhunderte nicht als Eroberung und Landnahme im heutigen, imperialistisch gedeuteten Sinne dar. Nur im Frühmittelalter wurden Herrschaftsbereiche binnengetrieben im Wege der Markenbildung ausgedehnt: so Österreich als bayerische Ostmark, die Mark Meißen und die Mark Brandenburg. Später wurden die Deutschen in der Regel eingeladen und geholt, wie von polnischen Herrschern, den Böhmen oder den ungarischen Königen. Einerseits galt es, Landstriche urbar zu machen, andererseits, den Einheimischen Vorbilder und Lehrer zu geben oder spezielle Fertigkeiten der ins Land gerufenen Kolonisten zu nutzen, wie vor allem im Bergbau.

Durchhaus der Völker und Heerscharen

Bessarabien, das Land zwischen Pruth, Dnjestr, Donau und Schwarzem Meer, hat eine vor allem ethnisch bewegte Geschichte. Es spielte als Übergangsland aus den südrussischen Steppen in die Donauniederungen in der Geschichte der Völker- und Kriegszüge oft eine wichtige Rolle. Die frühesten bekannten Bewohner waren skythische Nomadenstämme. Im zweiten Jahrhundert vor Christus fanden sich dort die kriegerischen Geten. Seit 106 n. Chr. östlichster Teil der römischen Provinz Dacien wurde das Land im dritten Jahrhundert von den Goten besetzt und im fünften von den Hunnen verwüstet. Es folgten die Völkerwanderungen der Avaren, Bulgaren und Slawen, die hier Städte wie Bjelgorod erbauten. Im siebten Jahrhundert drangen die Bessen ein, im neunten die Ugrer, im zehnten die Petschenegen, im elften die Kumanen, Uzen und Polowzer. Im 13. Jh. wurde das Land von den Mongolen erobert; zu dieser Zeit errichteten die Genuesen an den Ufern des Dnjestr Handelsniederlassungen. Von 1367 an war Bessarabien ein Teil von Moldau. 1503 wurde der südliche Teil türkisch, wobei im Gefolge aller Türkenkriege seit dem 18. Jahrhundert die Russen schrittweise vorrückten. Nach dem 6. Türkenkrieg mußte die Pforte 1812 das gesamte Bess­arabien an Rußland abtreten.
Bessarabien hat nichts mit Arabien zu tun, es verdankt seinen Namen dem mittelalterlichen moldauischen Herrschergeschlecht Basarab und ist im wesentlichen mit dem heutigen Moldawien ident. Der sogenannte Trajanswall von der Stadt Leovo am Pruth bis zur Mündung der Boina in den Dnjestr scheidet Bessarabien in einen nördlichen, mit Ausnahme des Steppenplateaus bei Bjelzo, hügeligen Teil und in ein südliches, fruchtbares, nur an der Küste des Steppengebietes früher ödes Gebiet.

Beginn der deutschen Besiedelung im 16. Jahrhundert

Schon 1763 hatte die Zarin Katharina II. in einem Manifest deutsche Kolonisten ins Land gerufen, um das eroberte Neu-Rußland, die heutige südliche Ukraine, zu besiedeln und zu kultivieren. Zar Alexander I. wiederholte und konkretisierte diesen Ruf, indem er den Zuzüglern Land, Religionsfreiheit, Befreiung vom Wehrdienst und zehnjährige Steuerfreiheit in Aussicht stellte. Dem Ruf folgten vor allem Deutsche aus dem damaligen russischen Herzogtum Warschau, die unter anderem dem religiösen Druck der Polen entgehen wollten. Während der ersten Welle kam es zur Gründung von über 20 Siedlungen, denen in der Folge eine gewisse Selbstverwaltung zugestanden wurde. Die Deutschen organisierten sich in Dorfversammlungen, die wiederum das Dorfamt wählten, bestehend aus dem Schulzen, dem Schreiber und dem Pfarrer. Da die Zaren der korrupten russischen Verwaltung nicht trauten, wurden „Fürsorgekomitees“ eingerichtet, die den Siedlern materiell beizustehen hatten.
Der Zuzug an deutschen Siedlern hielt bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts an: Die Zuwanderer stammten unter anderem aus Nordwestdeutschland, vor allem aber aus Württemberg. Die Landerschließung beförderte eine gewisse Innenkolonisation durch Tochterdörfer, wobei die Aussiedler erst nach einem formalen Verfahren aus ihren Stammgemeinden entlassen werden konnten. Eine Vermehrung erfuhren die Tochterdörfer durch Grundstücksspekulanten, die Ackerland an Aussiedlungswillige verkauften. So wuchs die Zahl der deutschen Dörfer von ursprünglich 24 auf über 150 an, mit zuletzt über 90.000 Einwohnern.
Die Deutschen waren nie mehr als eine kleine Minderheit im Lande: Die Mehrheit der Bevölkerung waren Rumänen, gefolgt von zugezogenen Ukrainern, die vor der Intoleranz der katholischen Polen flohen. Es gab aber auch Armenier, Bulgaren, Gagausen – christliche Turktataren orthodoxer Konfession –, Juden und seit dem 15. Jahrhundert auch zum Teil seßhafte Zigeuner. Das Land hatte in der vorsowjetischen Zeit kaum Industrie und war landwirtschaftlich geprägt. Der Handel lag in den Händen der Juden, Griechen und Armenier und hatte fast ausschließlich landwirtschaftliche Produkte zum Gegenstand.

Karge Anfänge in Erdhütten

Die Deutschen lebten in Straßendörfern, anfangs noch in Erdhütten, später in schilfgedeckten Häusern und waren zum überwiegenden Teil Bauern. Sie waren Lutheraner stark pietistischer Observanz. Dem Erhalt der deutschen Sprache und des Volkstums galt das Augenmerk der Lehrer und Pfarrer, dem die russische Verwaltung nicht entgegenstand. Erst in den Achtziger-Jahren des 19. Jahrhunderts wuchs der russische Assimilationsdruck, was ja auch die Baltendeutschen zu spüren bekamen. Die Revolution von 1905 brachte Lockerungen, denen aber schon im Jahr darauf Repressionen ein Ende bereiteten: So wurden der „Südrussische Deutsche Bildungsverein“ und der „Deutsche Lehrerverein“ wieder aufgelöst. Die Repression wurde im Ersten Weltkrieg naturgemäß gesteigert, der Gebrauch der deutschen Sprache sogar in der Predigt verboten; eine Umsiedlung nach Sibirien verhinderte nur die russische Revolution.

Wohl und Wehe der Bessarabiendeutschen hingen immer von Rußland ab.

Am 9. April 1918 mußte Rußland Bessarabien an Rumänien abtreten, was von den Deutschen begrüßt wurde, die sich dem neuen Staatsverband gegenüber auch dadurch loyal erwiesen, als sie aktiv bei der Abwehr bolschewistischer Rückeroberungsversuche mitkämpften. Ein „Deutscher Volksrat für Bessarabien“ kümmerte sich um die zahlreichen Probleme der Minderheit. In Rumänien mit seinem hohen deutschen Bevölkerungsanteil in Siebenbürgen und im Banat wurde später eine Organisation der Deutschen Rumäniens mit einem eigenen „Gaurat“ für Bessarabien eingerichtet. In der von den Rumänen organisierten Landreform verloren die Deutschen jedoch mehr, als sie gewannen: Güter im Ausmaß von über 100 ha wurden enteignet.
Das Ende der Deutschen Bessarabiens nahm mit dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt und seinen Zusatzprotokollen seinen Anfang. 1940 mußte Rumänien, auch auf Anraten Deutschlands, Bessarabien an die Sowjetunion abtreten, das zur Moldawischen Sozialistischen Sowjetrepublik wurde. Fast die gesamte deutsche Bevölkerung Bessarabiens wurde ins Deutsche Reich umgesiedelt, so auch in das Wartheland, Westpreußen und in das Gebiet von Danzig, von wo sie wenige Jahre später wieder vertrieben wurde. Ein späterer Präsident der BRD, Horst Köhler, wurde 1943 als Kind bessarabischer Aussiedler im Wartheland geboren. Die Niederlassung der Deutschen aus Bessarabien in der Bundesrepublik, die von ihren Nachbarn oft spöttisch „bessere Araber“ genannt worden waren, verlief wie bei allen Volksdeutschen schwierig, letztlich aber erfolgreich.

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