von Erich Körner-Lakatos
Was doch so ein bißchen Wetter ausmacht! Auch für den Stadtmenschen, der sich einbildet, sein Dasein sei nur auf rastlose Geschäftigkeit aufgebaut. Warum, beispielsweise, waren viele Menschen in den letzten Wochen so nervös und verdrießlich? Und weswegen waren dieselben Menschen an diesem bestimmten Sonntag zuletzt alle plötzlich viel freundlicher, besser gelaunt, geradezu optimistisch gestimmt? Weil es der erste schöne Sonntag war.
Ein unvergeßlich wundervoller Tag. Schon in aller Früh lächelt er zwischen die Fugen der heruntergelassenen Jalousien herein, und wenn man dann das Fenster öffnet: nur Sonne und ein reiner Himmel, so unwahrscheinlich blau wie in der Biedermeierzeit. In anderen Jahren ist einem das gar nicht so aufgefallen, aber heuer, nach dieser Serie von grauen Sonn- und Feiertagen, ist der erste schöne Sonntag wirklich wie ein unverhofftes Geschenk vom Himmel.
Nur wenige dürften da zu Hause geblieben sein, und jeder war irgendwo nach seiner Sonntagsart selig. Auf mondäne Weise im Stadtpark oder in eher proletarischen Gefilden, also auf dem Fußballplatz. Wen das Wasser lockte, den zog es ans Strandbad an der guten Alten Donau. Andere begaben sich in die Ausflugsorte des Wienerwaldes, dessen Einkehrgasthäuser unter dem Wetterpech am meisten gelitten hatten und die jetzt wieder eine anständige Sonntagslosung ins Trockene bringen konnten.
Jedes dieser Sonntagsprogramme hat etwas für sich, wenn man dazu aufgelegt ist. Wer aber nur dann gut gelaunt sein kann, wenn ihm keine überfüllten Gefilde drohen, der zieht die heuer so oft aufgeschobene Heimkehr in den eigenen Sommergarten vor. In ein halbwildes, lustig-grünes Durcheinander von Wiesen, Sträuchern, Bäumen, Blumen und Unkraut, mit einem sanft geschwätzigen Bächlein längs des Zaunes.
Wie jedes wahre Vergnügen ist auch mein Garten nicht so leicht zu erreichen. Man muß zeitig aufstehen, um den Frühzug zu erwischen. Die Fahrt geht nach Wiener Neustadt und von dort mit der Lokalbahn hinein ins Burgenland. Merkwürdig: Über 100 Jahre lang gehört dieses schöne Land schon zu Österreich, und noch immer ist es viel zu wenig bekannt. Sehr zu Unrecht, denn es ist richtiges, sommerliches Ausflugs- und Erholungsland. Nicht luxuriös und mondän, aber sehr naturnah, frisch und unverbraucht. Lohnendes Ziel für Erdbeeren- und Kirschenesser, für ausdauernde Spaziergänger, für Familien, die abgelegene Sommerfrischen schätzen.
Schon die Ankunft in dem stillen, kleinen Kurort ist beruhigend. Mein Garten liegt ein bißchen in der Einschicht. Zuallererst: Rundgang zu den vor Jahr und Tag selbstgepflanzten Bäumen. Sie nach zehn Monaten wieder zu betrachten, das bereitet eine merkwürdige, fast väterliche Genugtuung. Junge Bäume muß man ja wie Kinder erziehen, behüten, stützen – nur ist die Arbeit weniger anstrengend, weil sie nicht fortwährend fragen und widersprechen, wenn man es nur gut mit ihnen meint.
Das Unkraut ist in der Frühlingsnässe prächtig gediehen. Alsdann: Weg mit den Kleidern! Fürs Jäten und Umstechen genügt die alte Badehose. Immer, wenn ich mit dem verbissenen Fanatismus des sich ländlich betätigenden Stadtmenschen hier lebensgefährlich hacke und schaufle, zieht hoch über mir ein Flugzeug vorbei. Und falls ein Fremder drinsitzt und mit dem Feldstecher hinunterblickt, muß er sich denken: „Sehr mager und schwächlich sind sie, die burgenländischen Bauern!“
Nun folgt ein weiteres Sonntagsvergnügen: Erdbeeren brocken. Nicht die Ananaserdbeeren in den Beeten, das ist viel zu bequem. Echt ländliches Vergnügen ist es nur dann, wenn man zwischen den Brennesseln Walderdbeeren sucht. An den Abhängen – von den Einheimischen Leiten geheißen –, am Rand von Gebüschen, wo sie unter hohem Gras und Schlingpflanzen wie in einem Treibhaus zu großen, dunkelroten Früchten gedeihen. Je später sie reifen, um so saftiger und aromatischer sind sie.
Dann die kurze Sommersiesta im Lehnsessel, Kaffee kochen, dazu der obligate Butterstriezl. Doch es wird rasch kühl, die Sonne dort über dem Waldrand steht zum Adieu bereit. Alles wegräumen. Heimkehr im Sonntagszug mit lauter Erdbeertouristen, manche erschweren sich die Heimreise durch umfangreiche Blumensträuße. Sonderbare Gewohnheit? Mein Gott, das sind eben Menschen, die keinen Garten haben, vielleicht nur eine Hofwohnung im vierten Stock und die sich mit diesen Blumen ein Stück Natur in die Stadt retten. Eine Erinnerung, von der sie zehren.
Früher als sonst werde ich schläfrig. Und streckt man sich zur Ermunterung, dann spürt man: Morgen werde ich einen beträchtlichen Muskelkater haben und einen Sonnenbrand dazu. Na ja, diese Stadtleut’ sind halt die Natur überhaupt nicht gewöhnt!