Deutsch-Weißkirch
M.M.

Dreißig Jahre danach

Zurück in Siebenbürgen

Eine gewisse Anspannung ist durchaus spürbar. Immerhin ist es die erste Fahrt mit dem Ziel Siebenbürgen seit den Hilfslieferungen direkt nach der Öffnung des Eisernen Vorhanges vor über dreißig Jahren. Die Autobahn durch Ungarn war damals schon teilweise vorhanden. Der Grenzübertritt nach Rumänien zeigt dann die Veränderungen. Statt einer Schotterstraße durch einfache Dörfer eine voll ausgebaute Autobahn. Statt unbeleuchteter Pferdefuhrwerke Lastwagen, dazu BMW und Mercedes. Statt einer Durchschnittsgeschwindigkeit von nicht einmal 40 Kilometern pro Stunde mehr als 100.

Was sich nicht verändert hat, ist die Landschaft. Zuerst Ebene, leichte Hügel. Dann der Karpatenbogen. Die Berggipfel leuchten weiß. Herunten saftiges Grün, gepflegte Landschaften. Nicht umsonst Entstehungsort vieler Sagen und Märchen. Wo die Streckenführung der Autobahn den Blick auf Städte freigibt, sind nun doch Neuerungen zu bemerken. Moderne Fabriksanlagen, ebensolche Wohnsiedlungen am Stadtrand.

Die Deutschen gingen und mit ihnen der Wein

Von Hermannstadt aus verläuft die Autobahn Richtung Süden. Nun geht es also auf der Bundesstraße weiter nach Osten. Auf den südseitigen Hängen zeigt sich die ehemalige Gliederung in Weinterrassen. Deren Früchte waren jahrhundertelang Basis für eines der ältesten Kulturgetränke der Menschheit. Man erzählt sogar von hoher Qualität. Im Anschluß an den Exodus der Deutschen nach der Öffnung wurden sie großteils aufgelassen und abgeholzt, heute dienen sie fast durchwegs als Weideflächen. Seinerzeit mußte man sein Fahrzeug mit in Ungarn aufgefüllten Benzinkanistern die lange Fahrt über bei Laune halten, nun gibt es eine durchaus beachtliche Dichte an Tankstellen. Westliche und russische Konzerne sind gleichermaßen vertreten.

Als Unterkunft dienten vor dreißig Jahren Privathäuser Deutscher mit traditioneller Ausstattung: Zum Waschen wurden eine Schüssel, ein Krug Wasser und ein Handtuch ins Zimmer gebracht. Für die menschlichen Bedürfnisse gab es ein Plumpsklo im Hof. Diesmal wird im Pfarrhaus in Wolkendorf Quartier bezogen, einem modernen Gästehaus mit Dusche und WC im Zimmer. Pfarrer Uwe Seidner sorgt mit beeindruckendem Engagement für Verpflegung und Unterhaltung. Ein Ausflug nach Kronstadt offenbart eine moderne, saubere Stadt mit unverkennbar touristischem Schwerpunkt im Zen­trum. Dank dem geistlichen Führer wird nach dem Besuch der Schwarzen Kirche auch einer in der örtlichen Synagoge möglich – mit der einmaligen Gelegenheit, eine ausgemusterte Thora zu Gesicht zu bekommen. Restaurants gibt es wie in jeder modernen Stadt, die Qualität der Speisen ist nicht anders als in Mittel- und Westeuropa. Im Vergleich mit Österreich ist die Verpflegung immer noch ausgesprochen preiswert. Beim abendlichen Spaziergang ohne Begleitung durch Wolkendorf zeigt sich ein netter, gepflegter, sauberer Ort. Viele Häuser sind saniert und teilweise modernisiert, dennoch ist das traditionelle Ortsbild nicht beeinträchtigt. Der Kirchturm überragt alles, nicht wie hierzulande der Raiffeisen-Silo. Dank der Kenntnisse der aktuellen Landessprache ergibt sich ein Gespräch mit Bewohnern eines einfachen, alten Hauses am Ortsrand. Eine Zigeunerfamilie, interessiert und freundlich.

Zahlreich sind die Deutschen nur noch am Friedhof

Die Weiterreise führt nach Schäßburg – ein Muss auf jeder Siebenbürgenfahrt. Die mittlerweile als Weltkulturerbe zum größten Teil sanierte Altstadt präsentiert sich als typische Touristenfalle unserer Zeit. Läden mit traditionellen Produkten der Region gibt es ebenso wie Ramschläden, Cafes und Restaurants mit traditioneller, aber auch mit italienischer Küche. Die berühmte überdachte Schülerstiege zeugt ebenso wie viele Häuser vom ehemaligen Reichtum der Region. Steigt man hinauf und besucht oben die Kirche und auch den direkt daneben gelegenen evangelischen Friedhof, kommt allerdings Wehmut auf. Die fast durchwegs deutschen Namen auf den Grabsteinen, Jahrhunderte zurückreichend, geben Zeugnis einer vergangenen Epoche. Kaum zu glauben, daß sich beim Stammtisch der Deutschen in Schäßburg, der wöchentlich stattfindet, im Durchschnitt gerade einmal noch fünf Personen einfinden.

Auch den Besuch einiger Kirchenburgen sollte man sich nicht entgehen lassen. Über 160 von ihnen sind in Siebenbürgen erhalten, sieben von ihnen gehören zum Weltkulturerbe, unter anderen Deutsch-Weißkirch und Tartlau. Diese beiden beeindrucken: groß und doch nicht klotzig, funktionell und dennoch eingebettet in die Landschaft und die sie umgebenden Dörfer.
Was bleibt, ist ein zwiespältiges Gefühl: Freude über eine prachtvolle Landschaft, beeindruckende Kulturdenkmäler und freundliche Menschen. Wehmut über die bewußt gewordene Vergänglichkeit einer Epoche.

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