von Benedikt Kaiser
Kaisers Zone (32)
Auch im 34. Jahr der Einheit hinken die neuen Bundesländer den alten hinterher, wenn es um Eigentum geht. Der durchschnittliche „West-Haushalt“ gilt als doppelt so vermögend wie der durchschnittliche „Ost-Haushalt“ und zwar schichtenübergreifend. Das heißt salopp: Reiche Wessis sind vermögender als reiche Ossis, arme Wessis sind vermögender als arme Ossis. In Zahlen: Ein reicher Westdeutscher besitzt durchschnittlich 12 Millionen Euro, ein reicher Ostdeutscher 3 Millionen Euro; ein armer Westdeutscher verfügt über 24.000 Euro, sein ostdeutsches Pendant circa über die Hälfte. Diese Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) haben mannigfaltige Ursachen. Manche wären durch eine volksorientierte Politik korrigierbar, andere sind es nicht.
Eine Ursache liegt in der realsozialistischen Vergangenheit begraben. Die SED folgte Marx und Engels und begriff die Eigentumsfrage als „Grundfrage“, weshalb ab 1949 dem Umbau entsprechender Eigentumsverhältnisse ein Vorrang eingeräumt wurde. Gemäß der mehrfach überarbeiteten DDR-Verfassung (hier: von 1984, Art. 12) galt etwa privates Eigentum von Bodenschätzen, Banken oder auch Industriebetrieben als „unzulässig“. War privates Eigentum auf dem Wohnungsmarkt zwar gegeben – mehr als 40 Prozent der Bürger lebten in den eigenen „vier Wänden“ –, galt das für die genannten Bereiche demzufolge keineswegs. In ihnen herrschte mit einem Anteil von 96 Prozent das „sozialistische Eigentum“ vor, das in „Volkseigentum“, „genossenschaftliches Eigentum“ und „Eigentum gesellschaftlicher Organisationen“ aufgeteilt war. Der Begriff des dominierenden „Volkseigentums“ täuscht aber einen Zustand vor, der in der Realität nicht gegeben war: De facto handelte es sich um Staatseigentum. Der Berliner Wirtschaftswissenschaftler Ulrich Busch weist daher in der Zeitschrift PROKLA (3/2023) darauf hin, daß „allein die Partei- und Staatsführung“ die faktische „Verfügungsgewalt“ besitze, sodaß „das Staatsvolk lediglich formal, nicht aber real Eigentümer war“.
Die Folgen waren verheerend: Die Entfremdung des Volkes von „seinem“ Eigentum sorgte u.a. für mangelndes Interesse daran. Man war einflußlos, weshalb sich dann engagiert darum kümmern, zumal dann, wenn das Eigentum im Hoheitsbereich einer zunehmend realitätsblinden Politikerkaste liegt? Ein Vorteil des urdeutschen genossenschaftlichen Gedankens – das weltweit erste Genossenschaftsgesetz stammt aus dem Preußen des Jahres 1867 –, wonach Miteigentum an Gütern zu erhöhter Selbstverpflichtung und Anteilnahme führe war den an „Moskau“ geschulten alternden SED-Bürokraten fremd.
Eine Spätfolge dieser Problematik zeigte sich 1990 ff. im Zuge der Transformation vom Realsozialismus des Ostens in den Liberalkapitalismus des Westens. Es war dies ein Prozeß der Umschichtung von Eigentumsformen, in der der durchschnittliche DDR-Bürger leer ausging und Westkonzerne das große Geschäft machten. Die „Interessen westdeutscher Kapitaleigner und Alteigentümer“ (Ulrich Busch) konnten im Rahmen der Integration der ostdeutschen Wirtschaft in die westdeutsche Ordnung auch deshalb problemlos durchgesetzt werden, weil viele Ostdeutsche zwar Eigentum als „Grundfrage“ kannten, nicht aber die in den neuen Zeiten nun gültig gewordenen Antworten.
Benedikt Kaiser
Über den Autor:
Benedikt Kaiser, Jg. 1987, studierte an der Technischen Universität Chemnitz im Hauptfach Politikwissenschaft. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lektor und Publizist. Kaiser schreibt u.a. für Sezession (BRD), Kommentár (Ungarn) und Tekos (Belgien); für éléments und Nouvelle École (Frankreich) ist er deutscher Korrespondent.