von Reinhild Bauer
Brauchtum (25)
Brauchtum, Geselligkeit, Tracht, Musik und Tanz sind seit jeher wesentliche Elemente des bäuerlichen Lebens und des Alltags im Jahreslauf gewesen. Mit der langsamen Verstädterung verlor sich die Intensität der Sitten. Unter der Fremdherrschaft durch Napoleon erfolgte jedoch eine Welle der Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln.
Im Zuge der Freiheitsbestrebungen entstanden neben den politisch nationalen Strömungen auch bewußte Wiederbelebungsversuche der eigenen Volkskultur. Der Turnverein unter Friedrich Ludwig Jahn zum Beispiel machte es sich zur Aufgabe, die Deutschen als Volk zusammenzuschweißen und ihr Ureigenes zu stärken. Tanzen, Singen, Blaskapellen und Trachten sind bis heute wesentlicher Bestandteil der Turnvereine geblieben und zeigen, daß Brauchtum nur bestehen kann, wenn alle Facetten erhalten bleiben.
Um dieselbe Zeit etablierte sich eine neue Form für die Ausübung der Bräuche. Es bildeten sich Vereine, Kapellen, Chöre und Bünde. Den Beginn machten 1809 die Liedertafeln in Berlin. Es folgten ab 1815 Burschenschaften, ab 1816 die erwähnten Turnvereine und schließlich Blasmusikkapellen, Trachtenvereine, Heimatvereine und viele mehr. Auch der bis heute sehr aktive Landfrauenverband entstand bereits im 19. Jahrhundert.
Die neue Organisationsstruktur des kulturellen Lebens erwies sich als Glücksgriff. Das Vereinswesen blühte auf, und Jung und Alt, Arm und Reich tummeln sich über viele Jahrzehnte bunt gemischt in den zahllosen Vereinen. Neben den neuen, zeitgemäßen Liedern, Kompositionen und Trachten wurde ganz bewußt auch das Erbe der Vorväter weitergegeben. Viele nahezu in Vergessenheit geratene Bräuche, Lieder und Trachten wurden zusammengetragen, schriftlich festgehalten und damit auch für die kommenden Generationen gesichert. In diese Zeit fallen auch die ersten Gründungen von Heimat- und Volkskulturmuseen.
Das Vereinswesen in Deutschland ist auch heute noch beispiellos, obwohl viele Vereine seit Jahren um Nachwuchs kämpfen und teilweise vom Aussterben bedroht sind. Die Aufopferungsfähigkeit unseres Volkes zeigt sich aber auch in diesem Fall: Viele Museen und Vereine, die sich bis heute gehalten haben, verdanken dies der liebevollen ehrenamtlichen Arbeit begeisterter Einzelpersonen. Die Jugend sollte es sich nun zur Aufgabe machen, diese Durststrecke zu beenden. Und falls sich das Vereinswesen wirklich als nicht mehr zeitgemäß erwiese, so muß eine neue Form für eine lebendige Volkskultur gefunden werden.
Über die Autorin:
28 Jahre alt, Ehefrau, Mutter und Mitorganisatorin zweier großer Kulturveranstaltungen für die deutsche Jugend; aufgewachsen im Österreichischen Turnerbund und der Bündischen Jugend, Studium zur Volksschullehrerin, anschließend drei Jahre in der österreichischen Politik.