Der Osten „triggert“ anders

von Benedikt Kaiser

Kaisers Zone (31)

Leser dieser Kolumne ahnen, inwiefern sich Bürger im Westen und Osten der BRD mentalitätsmäßig unterscheiden, auch 33 Jahre nach dem Anschluß der DDR-Gebiete an den Westen. Letztlich folgte auf die „Wende“ kein Zusammenwachsen auf Augenhöhe, sondern die Herausbildung eines „Großwestdeutschlands“ (Thor v. Waldstein), in dem die „neuen Bundesländer“ gewissermaßen zu Kronkolonien wurden. In Anspielung auf eine Wendung des Politologen Hans-Joachim Arndt nenne ich die Deutschen auf dem Gebiet der dahingegangenen DDR in meinem neuen Buch Die Konvergenz der Krisen (Dresden 2023) daher in einer Kapitelüberschrift zugespitzt „Die Besiegten von 1990“.

Andere Autoren – die Soziologen Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser – haben nun im Rahmen ihrer detailreichen Studie Triggerpunkte u.a. Erhebungen veranlaßt und ausgewertet, inwiefern faßbare Unterschiede für innerdeutsche Friktionen sorgen. Nachweisen können die drei Herren empirisch, daß die entscheidenden Trennlinien entlang der Haltung zu Ausländerpolitik und Klimawandel verlaufen, „wo Ostdeutsche in der Tat migrations- und transformationsskeptischer eingestellt sind als Westdeutsche“. Doch, so wenden Mau & Co. ein, „läßt sich keineswegs von einem grundsätzlichen Auseinanderfallen der Orientierungen sprechen“. Heißt: Die Unterschiede sind da, sie haben Folgen, aber sie sind nicht mehr so markant, daß man einander vollkommen fremd wäre. Das liege auch daran, daß die neuen Polarisierungen unserer Zeit „alte“ Polarisierungen wie West gegen Ost in den Hintergrund treten ließen. Jene neuen bzw. erneuerten Polarisierungen seien Konflikte zwischen oben und unten, zwischen „Klimaschützern“ und “Klimaskeptikern“, zwischen „sexuellen Minderheiten“ und der Mehrheitsgesellschaft sowie viertens zwischen Migranten und Deutschen.

Auffällig ist bei der Lektüre der materialgesättigten Studie schließlich noch, was unausgesprochen bleibt: daß die politische Übersetzung dieser vier großen Konfliktlinien eben doch Ost- und Westausprägungen in Parteiform gefunden hat. Denn jenseits aller rationalen Erhebungen gilt im Alltagsverstand der meisten Deutschen die Partei Bündnis 90/Die Grünen als explizite „Westpartei“ – obwohl sie in drei „Ostländern“ regiert – und die AfD als explizite „Ostpartei“ – obwohl sie im wesentlichen von Westpersonal geführt wird. Sie beide verkörpern kategorisch die Pole der heutigen Auseinandersetzungen.

Benedikt Kaiser

Über den Autor:
Benedikt Kaiser, Jg. 1987, studierte an der Technischen Universität Chemnitz im Hauptfach Politikwissenschaft. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lektor und Publizist. Kaiser schreibt u.a. für Sezession (BRD), Kommentár (Ungarn) und Tekos (Belgien); für éléments und Nouvelle École (Frankreich) ist er deutscher Korrespondent.

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