Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

Wikimedia Commons, Željko Heimer, Sgt_bilko

Das Ende Österreich-Ungarns aus rechtshistorischer Sicht

von Wilhelm Brauneder

Seit dem Beginn des Verfassungsstaates im Kaisertum Österreich 1848 wurde in verschiedener Weise versucht, dieses als modernen Flächenstaat einzurichten und zwar stets mit einem differenzierenden Föderalismus in Bezug auf die ungarischen Länder. Sie sollten allerdings nach der ungarischen Erhebung von 1849 keine Einheit mehr bilden. Diese Versuche schlugen fehl. Zufolge der Schwächung der Wiener Zentralgewalt durch die Niederlage Österreichs im Deutschen Krieg von 1866 kam es 1867 zum „Ausgleich mit Ungarn“, einem Vergleich der österreichischen und ungarischen Interessen. Ungarn anerkannte den in der Pragmatischen Sanktion von 1713 festgeschriebenen gemeinsamen Monarchen und die sich daraus ergebende einheitliche Außenpolitik, das einheitliche Heer und deren Finanzierung, Österreich die Geltung der Verfassung Ungarns von 1848 und damit dessen Eigenstaatlichkeit.

„Doppelmonarchie“ als Euphemismus

Ab 1867 stellte Österreich-Ungarn unter dieser signifikanten Doppelbezeichnung eine Zwei-Staaten-Monarchie dar, was der nostalgische Ausdruck „Doppelmonarchie“ verschleiert. Tatsächlich besaß jeder Staat seine eigene Verfassungs- und Rechtsordnung, seine eigene Staatsbürgerschaft, seine eigene Verwaltungs- und Gerichtsorganisation, seine eigene Regierung und sein eigenes Parlament. Gemeinsam waren ihnen allein der Monarch als Kaiser von Österreich und König von Ungarn wie die sowohl kaiserlich(-österreichischen) wie königlich(-ungarischen) „k. und k.“ Minister des Äußeren, des Heeres und der gemeinsamen Finanzen. Diese identischen Sachbereiche bildeten den Kern der Union, „der Monarchie“, nicht als ein Staat, sondern als Realunion zweier Staaten. Ungarn verstand daher unter „Österreich“ nur den nichtungarischen Teil der Realunion, während man hier pseudogeographisch von „Cisleithanien“ sprach, da man unter „Österreich“ noch die Gesamtmonarchie verstehen wollte.

Die Grundkonstruktion der „Monarchie“ barg den Keim einer Trennung in sich.

Staatliche Symbolik trug der ungarischen Auffassung Rechnung. So veranschaulichte bereits seit 1869 etwa die Handelsflagge deutlich die Realunion zweier Staaten (Abbildung) und schließlich das gemeinsame Wappen von 1915: Die Wappen der Staaten „Österreich“ und „Ungarn“ verband das habsburgische Hauswappen, aber überragt von den „Kronen der beiden Staatswappen“. Soweit Materien übereinstimmende Gesetze verlangten, entstanden diese im Wege von Ausschüssen der beiden Parlamente, da es ein gemeinsames nicht gab. Dazu kam weiters, daß der finanzielle Beitrag zur „Monarchie“ periodisch auszuhandeln war, was immer mehr dem Verkehr zwischen zwei Staaten entsprach. Allein schon diese Grundkonstruktion der „Monarchie“ barg den Keim einer Trennung in sich. Auf Drängen Ungarns nach einem eigenen Heer traten schon 1868 zur gemeinsamen „k. u. k. Armee“ die ungarische „Honved“ und als Gegengewicht die „k. k. Landwehr“.

Flaggenwechsel in der Donaumitte

Beide Staaten unterschieden sich in vielerlei Hinsicht. So war Cisleithanien seit seiner Verfassung 1867 – einer Folge des Ausgleichs – als dezentralisierter Staat gleichberechtigter Nationalitäten organisiert, Ungarn hingegen als zentralisierter magyarischer Nationalstaat, in dem allein Kroatien eine Sonderstellung einnahm, nicht etwa auch Siebenbürgen; slowakische Gebiete galten als Oberungarn. Fuhr man mit dem Schiff von Hainburg über die Donau nach Pozsony/Preßburg (heute Bratislava), wechselte in Strommitte die Schiffsflagge: Schwarz-Gold wurde durch Rot-Weiß-Grün ersetzt, und die Bordkapelle spielte die ungarische Hymne – aber in Preßburg sprach fast alles Deutsch. Tatsächlich trieben die beiden Staaten immer mehr auseinander. Das „österreichisch-ungarische Zollgebiet“ hieß ab 1907 „Vertrags-Zollgebiet der beiden Staaten der österreichisch-ungarischen Monarchie“. So konnten vor allem ungarischerseits Ideen auftauchen, Kronprinz Rudolf neben Franz-Joseph zum König von Ungarn zu machen oder den Verzicht von Thronfolger Franz Ferdinand auf die Nachfolge seiner Söhne in Ungarn gegebenenfalls nicht anzuerkennen.

Reformideen zur Lösung der immer drängenderen Nationalitätenfrage

Vielen galt die Konstruktion der „Doppelmonarchie“ daher als unbefriedigend. Dies umso mehr, als mit der Annexion von Bosnien-Herzegowina 1908, das bisher osmanisch gewesen war und nunmehr ein Kondominium Österreichs und Ungarns war, der slawische Anteil in der Gesamtmonarchie stark anstieg. Ideen eines „Trialismus’“ erwogen die Bildung eines dritten „Reichsteils“ neben Österreich und Ungarn, entweder aus Böhmen-Mähren-Schlesien, aus Galizien oder aus den südslawischen Gebieten. Bescheidener sah ein differenzierter Föderalismus mehr Rechte für bestimmte Länder vor wie etwa für das polnisch dominierte Galizien. Radikaler waren die Ideen der Bildung von national möglichst einheitlichen Teilstaaten wie etwa Deutsch-Böhmen neben Tschechisch-Böhmen. Wegen der Streusiedlungen mancher Nationalitäten, insbesondere der Deutschen, entstand die Idee zusätzlicher autonomer Körperschaften für jede Nation zur Selbstverwaltung. Im Abgeordnetenhaus gab es nach der Wahl von 1911 etwa dreißig Klubs (Fraktionen) oft mehrerer Parteien, da diese sich nicht nur weltanschaulich, sondern auch national unterschieden. So stand etwa neben der (deutschen) Stammsozialdemokratie auch eine tschechische. Die Nationalitätenfrage bestimmte entscheidend der Umstand, daß sie keine innerösterreichische Angelegenheit war. Sämtliche Nationalitäten der Monarchie mit Ausnahme der Ungarn waren außerhalb der Monarchie in eigenen Staaten organisiert wie etwa die Serben in Serbien, die Italiener im Königreich Italien, die Deutschen im Deutschen Reich; dazu kam noch der von Rußland dominierte Panslawismus.

Spätestens im Ersten Weltkrieg ging Nationalität vor Weltanschauung.

Als 1917 das Abgeordnetenhaus wieder zusammentrat, waren die weltanschaulichen Schranken innerhalb der Nationalitäten so gut wie verschwunden, nur die nationale Zusammengehörigkeit spielte noch eine Rolle – erkennbar etwa im Polenklub oder im Deutschen Nationalverband: Das Abgeordnetenhaus war zu einer Nationalitätenvertretung geworden. Hier forderten insbesondere die slawischen Fraktionen die Bildung nationaler Teilstaaten, vorerst noch innerhalb der Monarchie. Anders im feindlichen Ausland: Seit 1915 verlangte der „Jugoslawenski odbor“ die Bildung eines eigenen südslawischen Staates und seit 1916 der „Nationalrat“ unter Masaryk und Benesch eine unabhängige Tschechoslowakei. Im Jänner 1918 schlossen sich die tschechischen Reichratsabgeordneten dieser Forderung an, allmählich nun auch die südslawischen Abgeordneten. In der ersten Oktoberhälfte 1918 handelte ein „Nationalausschuß“ in Prag wie eine selbständige Regierung, ähnliches geschah in Agram (Zagreb) für Südslawien, in Warschau für die polnischen und in Lemberg für die ukrainischen Gebiete. Zuletzt formierten sich die Deutschen Cisleithaniens am 21. Oktober 1918 in der Provisorischen Nationalversammlung. Ein kaiserliches Manifest vom 17. Oktober suchte diese Entwicklungen aufzufangen, aber vergebens, zumal es sich auch nicht auf Ungarn bezog. In dichter Folge kam es nun zur Gründung neuer Staaten wie am 28. Oktober der Tschechoslowakei und am 30. Oktober von Deutschösterreich. Ungarn sagte sich im November 1918 von der Gesamtmonarchie los: Zuerst kündigte es die Realunion, dann die Personalunion. Nun wurde auch die österreichische (cisleithanische) Staatsgewalt beendet. Am 11. November verzichtete Kaiser Karl „auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften“, also nicht nur an den Regierungsgeschäften, entließ seine Regierung und setzte keine neue ein, was sachlich einer Abdankung gleichkam; tags darauf stellte das Abgeordnetenhaus seine Tätigkeit ein.

Beitrag teilen

Facebook
X
Email
Telegram
Print
WhatsApp