von Caroline Sommerfeld
Schönbrunner Deutsch ist jene Form der deutschen Hochsprache, die ab dem späten 18. Jahrhundert am Wiener Kaiserhof, im österreichischen Adel und teilweise bis ins Großbürgertum des Habsburgerreiches gesprochen wurde.
Die meisten Adeligen lebten in ihren Wiener Palais – vom berühmtesten rührt der Name „Schönbrunner“ Deutsch her – sowie auf ihren Schlössern oder in Dienstwohnungen in allen Teilen der Donaumonarchie. In den fremdsprachigen Provinzen Transleithaniens sprach die Oberschicht die jeweils heimische Sprache als Muttersprache und außerdem meist fließend Schönbrunner Deutsch.
Das Schönbrunner Deutsch ist sprachwissenschaftlich sowohl ein Soziolekt, also eine Sprachform, die eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe verwendet, als auch ein Sprechstandard: In der Erziehung der adeligen und großbürgerlichen Jugend wurde Wert darauf gelegt, daß die Eleven „schön sprachen“. Damit war keineswegs nur gemeint, Kraftausdrücke zu vermeiden – heute verwendet man in Wien die rügende Mahnung „Schön sprechen!“ nur noch ironisch in dieser reduzierten Bedeutung –, sondern sich an eine bestimmte Sprechweise, bestehend aus Tonfall, Satzmelodie und Klangfarbe, zu halten.
Der Kolumnist Hans Rauscher beschrieb den Tonfall der Familie der Schauspielerin Christiane Hörbiger bei deren Tod für einen Berufslinken erstaunlich nostalgisch-reaktionär als „ein perfektes Hochdeutsch mit altösterreichischer Klangfarbe. Melodiös, leicht verschattet, zwischendurch ironisch aufblitzend, alles mit dem Grundton einer gewissen Weltmüdigkeit“.
Unterscheiden muß man vom Schönbrunner das sogenannte „Burgtheater-Deutsch“, ebenfalls ein wienerisch eingefärbtes Hochdeutsch – dieses ist bzw. war aber ausschließlich Sprachnorm für Schauspieler in Theater und Film und kein Soziolekt. Das Schönbrunner Deutsch ist indes, langsam kommen wir der Sache durch das Ausschlußprinzip näher, auch nicht nur ein Hochdeutsch mit Wiener Akzent. Dafür hat es zu deutlichen Normcharakter – Adel verpflichtet schließlich zu vollendeter Form –, um sich sowohl vom Dialekt als auch vom preußischen „Schriftdeutsch“ zu distinguieren.
Typisch für das Wienerische ist unter anderem die sogenannte Monophtongierung, d.h. das Zusammenziehen von Doppelvokalen (au, ei) zu einem langen Vokal (a:, ä:). Adelssprößlingen wurde explizit eingeschärft, nicht so zu sprechen. Hingegen bemerkt man am Schönbrunner Deutsch die wienerische weiche Aussprache harter Konsonanten (b für p, d für t, g für k), die ich in einer vergangenen Sprachkolumne als genauso charakteristisch für das Prager Deutsch beschrieben habe – es war eben das Habsburgerreich, das beide umschloß. Wer hören möchte, wie Schönbrunner Deutsch klang, der kann eine kurze Tonaufnahme der Kaiserin Zita über die Krönung Karls zum ungarischen König in Budapest am 30. Dezember 1916 in der „Österreichischen Mediathek“ finden.
Wenn in Historienfilmen Angehörige des alten Adels und der Hofgesellschaft, der sogenannten Ersten Gesellschaft, und die sie nachahmenden Neuadeligen und Großbürger, die „Zweite Gesellschaft“, manchmal fast persiflagehaft näseln, dann entspricht dies nicht der Norm des Schönbrunner Deutsch. Es geht die Anekdote um, das Nasale sei den Polypen des Kaisers Franz-Joseph geschuldet gewesen… Joseph Roth trauert in seinem Radetzkymarsch (1932) allerdings genau diesem Klang nach: „Er sprach das nasale österreichische Deutsch der höheren Beamten und des kleinen Adels. Es erinnerte ein wenig an ferne Gitarren in der Nacht, auch an die letzten, zarten Schwingungen verhallender Glocken, es war eine sanfte, aber auch präzise Sprache, zärtlich und boshaft zugleich.“
Und auch Graf Bobby sprach Schönbrunner Deutsch! Er ist eine fiktive Figur, entstanden nach 1900 in den letzten Jahren der k. u. k. Monarchie, als Witze über leicht dekadente, begriffsstutzige Aristokraten in Karikaturenblättern die Runde machten. Überlassen wir ihm hier das letzte Wort, denn besser läßt sich schlechterdings nicht ausdrücken, was das Schönbrunner Deutsch gewesen sei:
Graf Bobby im November 1918, vor sich eine Schale Ersatzkaffee: Das versteh ich nicht! Na, ich versteh‘s wirklich nicht! So eine schöne Armee ham ma g’habt. Husaren, Dragoner, die Prachtrösser! Helm! Federbusch! Pallasch’! Und erst die Fahnen mit den schönen Stickereien. Die Kaiserjäger, die Hoch- und Deutschmeister! Und die Regimentsmusik! Was für eine Gloria! Da kann man sagen, was man will, das war die schönste Armee der Welt! Und was haben’s g’macht mit dera Armee? In Krieg haben sie’s g’schickt!