„Blockköpfe“ zwischen „Gerries“ und „Schlappohren“

von Daniel Fabian

Zur Lage junger Deutscher aus Namibia zwischen Heimat und Heimat

Deutsche haben immer wieder bewiesen, daß sie in entlegensten Winkeln der Erde nicht nur siedeln, hart arbeiten und Wohlstand erwerben, sondern dabei auch ihre deutsche Eigenart, also besondere Eigenschaften ihres Volkscharakters bewahren können, ohne von der Mehrheitsbevölkerung aufgesogen zu werden. Eines der extremsten Beispiele dafür sind die Deutschen im ehemaligen kaiserlichen Schutzgebiet Deutsch-Südwestafrika, heute die Republik Namibia.

Namibia ist geprägt von extremen Temperaturen und Trockenheit und ist eines der am dünnsten besiedelten Gebiete der Erde. In dieses lebensfeindlich erscheinende Land gingen Ende des 19. Jh. deutsche Siedler als Landwirte, Handwerker und Kaufleute. Nach gut dreißig Jahren brachte der Erste Weltkrieg das Ende des kolonialen Experiments, doch etwa die Hälfte der Deutschen blieb im Land. Heute, 100 Jahre später, ist die Bevölkerung deutscher Muttersprache auf das Drei- bis Vierfache angewachsen, jedoch neben der stark zunehmenden schwarzen Mehrheitsbevölkerung und den afrikaanssprachigen Weißen nur noch eine kleine Minderheit von weniger als 1% der Namibier.

Blick auf Deutschland: mehr von allem außer Freiheit

Anders als manche andere deutsche Minderheit in Übersee leben die „Südwesterdeutschen“, wie sie manchmal noch genannt werden, nicht isoliert von der fernen Heimat ihrer Vorfahren. Gute Verdienstmöglichkeiten im Exportgeschäft, Handwerk, Tourismus oder in der Landwirtschaft gibt es in Namibia zwar, aber eine gute Ausbildung ist unverzichtbar, um im Land Fuß zu fassen – spätere Weiterqualifikationen vor Ort sind kaum zu organisieren, ein „soziales Auffangnetz“ über die Familie hinaus gibt es nicht. Die deutschsprachigen Länder Europas sind da eine willkommene Ausweichmöglichkeit und ziehen einen großen Teil der jungen Deutschen aus Namibia an. So wie Anna Matheis: „Für uns ist Deutschland wie ein Schlaraffenland, es gibt mehr von allem“ – nicht nur Ausbildungsmöglichkeiten, sondern auch Freizeitaktivitäten, Infrastruktur und bezahlbares, abwechslungsreiches Essen. Anna und ihre Schwester Eva sind in Swakopmund aufgewachsen und kamen im Alter von 25 bzw. 19 Jahren in die BRD. Anna hatte zu diesem Zeitpunkt schon in Südafrika studiert und konnte sich anfangs nicht vorstellen, in Europa zu bleiben – zu fremdartig wirkte das Land ihrer Ahnen. Inzwischen studiert sie Medizin in Österreich und fühlt sich sehr wohl. An eine Rückkehr nach Afrika ist zur Zeit nicht gedacht, die Schwestern können sich nicht vorstellen, dort zu arbeiten. Obwohl Eva – inzwischen schon seit acht Jahren in Europa und mit Ausbildung und Berufserfahrung als Krankenschwester – immer wieder Heimweh hat. Eine dauerhafte Rückkehr hält sie aber erst im Alter für wahrscheinlich, wenn sie mehr Ruhe haben will, ist aber froh, diese „Hintertür“ zu haben – „wenn einem hier alles zu viel wird, kann man immer wieder nach Hause“.

Nach den größten Unterschieden zwischen Afrika und Europa gefragt fällt beiden Schwestern sofort das enge Regelkorsett hierzulande ein: „Man ist sehr, sehr viel freier in Namibia“, sagt Eva. Hier gebe es für alles Regeln, Formulare und Bürokratie – „dies darf man nicht, das darf man nicht“. Bis heute können sie nicht verstehen, warum man eine Genehmigung brauche, um einen Baum auf dem eigenen Grundstück zu fällen. Auch die Menschen seien anders: „In Deutschland leben alle in ihrer eigenen Welt, starren nur auf ihr Handy“; in Namibia sei der Umgang offener und herzlicher. Näher als den Deutschen in Europa fühlen sie sich der deutlich größeren weißen Minderheit afrikaanser (burischer) Muttersprache. Nicht nur hat das Südwesterdeutsch viele englische und afrikaanse Lehnwörter aufgenommen; auch in Schulen, bei Sport- und Freizeitaktivitäten kommen Namibier deutscher und afrikaanser Sprache aufgrund ähnlicher Herkunft und gesellschaftlicher Stellung häufiger miteinander in Kontakt als mit den schwarzen Völkern und Stämmen Namibias. Sprachbarrieren gibt es dabei kaum, denn an den namibischen Schulen wird Englisch und Afrikaans in jedem Fall und für die Deutschen auch Deutsch gelehrt; manche Schulen bieten auch Deutsch als Pflichtfach für alle bis zur 8. Klasse. „Schlappohren“ werden die Buren genannt, die sich mit der Bezeichnung „Blockköpfe“ für die Deutschen revanchieren, denn das Denken der Deutschen sei so „viereckig“. Und das Verhältnis zu den Schwarzen?

Stärker als die Segregation durch die Hautfarbe ist die durch das Einkommen

Schwarze und weiße Reiche wohnen in denselben Vierteln. Generell bleiben die Gruppen unter sich, was Freundschaften nicht ausschließt. Mischehen zwischen Schwarz und Weiß sind aber extrem selten. Anna: „Das habe ich noch nie gesehen. Wenn man eine weiße Frau mit einem Schwarzen Arm in Arm sieht, weiß man immer: Das ist eine Touristin.“ Vorurteile gibt es zwischen allen rassischen Gruppen, gerade auch zwischen den Schwarzen. Die Interessen der einzelnen Stämme und Völker sind politisch und ökonomisch wichtiger als ein gemeinsames gesellschaftliches Ziel. Diese ständigen unterschwelligen Abneigungen führen aber im bevölkerungsarmen, provinziellen Vielvölkerstaat Namibia kaum je zu Ausschreitungen oder Gewalt wie in Südafrika. Die Rassen-, Einkommens- und Mentalitätsunterschiede zwischen Weißen, Ovambo, Herero, San, Hottentotten, Damara sowie den „Coloureds“ oder „Bastards“ genannten Nachkommen aus Mischehen der Kolonialzeit werden meist eher mit Humor genommen, der auch derb sein kann. Auch die „politische Korrektheit“ ist deswegen ein Kulturschock für Südwesterdeutsche, die nach Europa kommen. Eva berichtet, sie könne in Deutschland nicht so frei reden wie in Namibia.

Die Schwarzen in Namibia wissen, daß sie die Weißen brauchen

Auch Philipp zeichnet ein differenziertes Bild des „Rassismus’“ in Namibia. Der Unternehmer aus Sachsen-Anhalt war schon mehrfach im Land und pflegt Freundschaften dorthin. Das Verhältnis der wenigen Weißen zur zahlenmäßig weit überlegenen, aber materiell stark unterlegenen Mehrheit beschreibt er als von praktischen Notwendigkeiten geprägt. Was von außen als eine Kommunikation „von oben herab“ wahrgenommen werde, sei notwendig, um angesichts der gewaltigen Unterschiede in Lebenseinstellung, Haltung zur Arbeit und sozialen bzw. familiären Strukturen überhaupt zusammenarbeiten zu können. Die Schwarzen seien einerseits die Herren des Landes, andererseits ohne die Weißen nicht in der Lage, das klimatisch extreme Land urbar zu halten. Überall, wo Grundbesitz und Ökonomie an Schwarze übergingen, breche teils über Jahrzehnte aufgebaute Infrastruktur schnell zusammen. Das Wissen darum verhinderte in Namibia bis heute Ausschreitungen und Willkürakte gegen die weiße Minderheit. Das Beispiel Simbabwes, wo auf die Vertreibung der Weißen der totale ökonomische Zusammenbruch folgte, ist den Anführern der namibischen Langzeitregierungspartei SWAPO eine Lehre.

Die Deutschen aus Europa, die sich solchen Erkenntnissen verweigern und lieber moralische, „antirassistische“ Vorwürfe erheben, werden im persönlichen Gespräch für nicht ganz richtig im Kopf gehalten. Philipp berichtet von der Distanz vieler Südwesterdeutschen, denen er begegnete, zur heutigen BRD. Deren Bürger laufen in Namibia häufig unter „Gerries“ (von „Germany“); sie hätten nicht den Vorzug eines harten Lebens auf hartem Land, das zu Einsichten zwingt. Anders die Deutschen in Namibia: „Die haben ihren Verstand behalten. Sie sind irgendwann in der Zeit eingefroren; wenn du dort lebst, mußt du deinen Verstand behalten, um zu überleben.“ So halten die dortigen Deutschen fern dem Land ihrer Vorfahren zwar Kontakt, und die eigene Herkunft und Geschichte sind ihnen wichtig; aber diese Bindung ist heute wesentlich weniger ausgeprägt als noch bei ihren Großeltern.

Die deutsche Minderheit in Namibia wächst

Auch wenn viele ins Ausland gehen und nicht alle wiederkommen: Durch den Zuzug eingeheirateter Familienmitglieder aus Europa und von Rentnern auf der Suche nach einer günstigen, sonnigen Ruhestandsheimat wächst die deutsche Minderheit langsam, aber stetig. Zukunftssorgen für ihre Gemeinschaft machen auch Anna und Eva sich nicht. Wie viele andere „Südwesterdeutsche“ werden auch sie weiter zwischen den Welten leben. Wenn Eva einen Familienbesuch in Namibia plant, sagt sie, sie fliege „nach Hause“. Wenn sie sich dann auf den Rückweg macht, sagt sie dasselbe.

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