von Mario Kandil
Kalendarium Kandili (22)
„Aus dem Hintergrund müßte Rahn schießen, Rahn schießt – Tor, Tor, Tor, Tor!“. Für immer werden mit dem Namen Helmut Rahn diese legendären Worte des Sportreporters Herbert Zimmermann vom WM-Finale in Bern am 4. Juli 1954 verbunden bleiben. Rahn, dessen Todestag sich nun zum 20. Mal jährt, schoß damals mit seinem Treffer die junge Bundesrepublik Deutschland zum 3:2-Sieg über das hochfavorisierte Ungarn.
Als Kind einer Bergmannsfamilie hatte der am 16. August 1929 geborene Helmut – wegen seiner Führungsqualitäten auf dem Platz auch „der Boß“ genannt – im Grunde nur zwei Optionen: Steiger oder Fußballspieler, Bergwerk oder Bolzplatz. Er entschied sich für den Bolzplatz und spielte nach einer ersten Phase für den SV Altenessen in der Not der Nachkriegszeit für den SC Oelde (1946-1950). Dadurch erlangte Rahn für sich wie für seine Eltern Lebensmittel.
Oeldes Urgestein Albert Uthoff nannte Helmut Rahn in einem Interview einen „wunderbaren Menschen“, der sich jedoch außerhalb des Fußballplatzes nicht gerade um Arbeit gerissen habe: „Der stand immer inne Stadt und war Eis am Lutschen! Arbeiten hatte der keine Laune dran!“ Für die Zeit des deutschen Wirtschaftswunders war dies eher untypisch, und auch später wurde Rahn sehr oft als Kumpeltyp beschrieben, der es zwar mit der Disziplin außerhalb nicht sonderlich genau genommen, dafür aber auf dem Spielfeld stets sein Bestes gegeben habe. Der ebenfalls legendäre Fritz Walter, der sich während der WM 1954 mit Rahn ein Zimmer teilte, drückte es so aus: Rahn sei ein „kraftstrotzender und selbstbewußter Boß mit einem unerschöpflichen Vorrat an Übermut und Blödsinn“.
Im Jahr 1953 mit Rot-Weiß Essen Deutscher Fußballmeister geworden erlebte „der Boß“ als einer der „Helden von Bern“ – also als Mitglied der deutschen Weltmeistermannschaft von 1954 – seine größte Stunde als Fußballer. Dabei hätte er nach einem unerlaubten nächtlichen Ausflug aus dem WM-Quartier in Spiez eigentlich von Bundestrainer Sepp Herberger heimgeschickt werden müssen, doch der sonst so strenge Chef konnte nicht auf Rahn verzichten. Der dankte es ihm mit wichtigen Toren.
1961 wegen wiederholter Trunkenheit am Steuer zu vierwöchiger Gefängnisstrafe ohne Bewährung verurteilt beendete Rahn 1964 seine Karriere und lebte danach zurückgezogen in Essen-Frohnhausen. Am 14. August 2003 endete sein bewegtes Leben.
Über den Autor:
Dr. phil. Mario Kandil M.A., geb. 1965, studierte in Aachen Mittlere und Neuere Geschichte, Alte Geschichte und Politische Wissenschaft und promovierte in Hagen. Nach langjähriger Tätigkeit im universitären Bereich und in der Erwachsenenbildung heute freier Historiker und Publizist. Forschungsschwerpunkte: Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons I. sowie der Nationalstaaten, Weltkriege und Kalter Krieg.