von Tobias Mindner
Atlas und Augenspiegel, Buchdruck und Brennstoffzelle, Dynamit und Dampfmaschine, Elektron und Ecstasy, Farbfilm und Fernsprecher, Gummi und Gesprächstherapie, Hybridantrieb und Humanismus, ISDN-Netz und Insulin, Jugendstil und Jenaglas: So geht es mit deutschen Erfindungen und Entdeckungen durch das ABC. Am anderen Ende: Volkslied, Wasserkunst, Xenon-Licht, Y-Achse und Zahnbürste. Und dazwischen abertausende weitere grandiose Dinge, Gedankengebäude und Entdeckungen. Heute Alltägliches wie Radio und Fax, Fernseher und Waschmaschine, Mineralwasser, Lautsprecher, Kinderspielzeug, E-Buch. Praktisches wie Taschenuhr, -lampe und -rechner, Straßenbahn und Seilbahn, Spielfilm und Schullandheim. Fahrzeuge und Flugzeuge aller Art, die besten Panzer und U-Boote. Die meisten Gegenstände, ob groß (wie Luftschiff oder Schiffsschraube) oder klein (wie Reißzwecke und Funktelefon), ob entbehrlich (Comic) oder unentbehrlich (Computer), ob beliebt (MP3-Spieler) oder umstritten (digitales Mautsystem) stammen aus dem deutschen Sprachraum. Ja, auch Kernenergie und Atombombe sind hochenergetische Gedankenblitze deutscher Forscher, wenngleich vielleicht etwas schaurig.
Von den ersten 42 Nobelpreisen gingen 17 in den deutschen Sprachraum, acht in den französischen und sieben in den angelsächsischen.
Wirklich wahr: Kolossal viele technische Erfindungen der Neuzeit sind heimischen Ursprungs. Daneben haben fast alle modernen Wissenschaften ihre Wiege im deutschen Sprachraum, und bedeutende Musiker, Philosophen und Mathematiker aus D-A-CH haben der Welt viel mehr gegeben, als es nach unserer Bevölkerungszahl zu erwarten wäre. „Das deutsche Jahrhundert“ nennen manche Globalstrategen und Historiker zugespitzt die Zeit zwischen 1850 und 1945. Die deutschen Staaten, namentlich später das deutsche Kaiserreich in der Mitte Europas: kulturell und sozial fortschrittlich, wirtschaftlich überlegen, wissenschaftlich konkurrenzlos. Von den ersten 42 Nobelpreisen gingen 17 in den deutschen Sprachraum, acht in den französischen und sieben in den angelsächsischen.
In Bewegung durch deutsche Erfindungen
Schauen wir nur auf alles, was sich bewegt, gestern wie heute. An Land, im Wasser oder in der Luft. Bahn, Auto, Rad, Bus und LKW, Hubschrauber, Raketen und Magnetschwebebahnen. Fallschirme. Schleudersitze. Katapultstartsysteme. Skier, Matten für Sprungschanzen und Rhönräder. Schraubstollen für Fußballer oder Zehenschuhe. Bei jedem dieser Hauptworte gibt es ungezählte Nebengeschichten und Details.
Denn allein das Fahrrad besteht aus unzähligen Komponenten, die alle erst erdacht, gebaut, getestet und weiterentwickelt werden mußten und bisweilen auch wieder verworfen wurden. Nach dem schlichten Holzrad des Freiherrn von Drais – daher Draisine – kamen die Pedale, die dem Ding den richtigen Schwung gaben. Dann mit dem Schwung die nötige Freilaufnabe von Fichtel und Sachs, dann zur Erhöhung der Geschwindigkeit und Verbesserung des Komforts die verschiedenen Gangschaltungen. Erst einer, dann zwei, dann drei, heute 18 Gänge. Wahlweise in der Nabe, an Kettenblättern oder im Tretlager. Oder kombiniert. Und zum Verlangsamen oder Anhalten? Scheibenbremsen!
Später die angetriebenen Räder, heute Pedelecs oder E-Bikes genannt: auch sie zwischen Ostsee und Alpen – gerade da! – erfunden und stetig weiterentwickelt. Meistens liegt so etwas weiter zurück, als man vermutet. Spätestens ab 1900 hat es Räder mit Hilfsantrieb gegeben, mal elektrisch, mal mit Verbrenner. Beispielsweise produzierte DKW in Zschopau von 1919 bis 1921 ein 1-PS-starkes Maschinchen zum Nachrüsten gewöhnlicher Räder, daselbst auf dem Gepäckträger; für die leichteren und vor allem wartungsärmeren Elektromotoren fehlte es allerdings noch jahrzehntelang an starken Batterien. Gleichwohl bequemes Radeln auch so geschehen kann: Man fährt mit Bahn oder Bus den Berg hinauf und hat das muskelgetriebene Leichtrad zusammengeklappt dabei: Das kleinste Fahrrad der Welt ist ebenfalls eine deutsche Erfindung, trotz seines faden Allerweltsnamens „Handybike“: Es wiegt nur 7,7 kg und paßt in eine größere Sporttasche. Oder ins Flugzeughandgepäck. Daß Fahrräder ebenso wie Autos stets mit vernünftigem und hellem Licht die Straße vor sich ausleuchten können – besonders dann, wenn es am dringendsten ist, nämlich bei Nässe und auf schlechten Wegen – haben sie Wilfried Schmidt zu verdanken. Der hat nämlich in den 90er-Jahren brauchbare Nabendynamos entwickelt, wie sie heute in fast allen (Vorder-)Rädern stecken. Ein erstes Patent für die Idee an sich gab es schon 1913. Und zwar für den Oberbayern Alois Sanladerer und dessen Pläne für den Stromerzeuger in der Achse.
Vom „Geist aus der Flasche“ zur Taschenlampe
Apropos Laden, Strom und die schon angesprochenen Batterien – ihrerseits erneut ein Unterkapitel wert für diejenigen, welche sich ein wenig für Chemie und Physik begeistern können. Ewald Jürgen Georg von Kleist, Jurist und Naturwissenschaftler aus dem preußischen Cammin, stellte am 11. Oktober 1745 seine „Kleistsche Flasche“ der Öffentlichkeit vor – und sie war der erste künstliche Kondensator der Welt. Daß ein mit Metallfolie verkleidetes Glas viel Energie speichern kann, hatte von Kleist gemerkt, als er nach dem Elektrisieren einen Nagel aus der Alkoholfüllung zog: Er bekam just einen mächtigen Schlag, den später so genannten „Kleistschen Stoß“. Von seinem heutigen Gebrauch – dem Speichern und Puffern von genügend Energie – war dieser Stromsammler noch weit entfernt, ebenso als Quelle zielgerichteter elektrischer Versuche. Man nutzte den heimtückischen „Geist aus der Flasche“ zur Volksbelustigung und ergötzte sich an hilflos zuckenden Gliedmaßen. Heute noch bekannt ist das Gefäß als „Leidener Flasche“, da es ein Jahr später unabhängig von Kleist im holländischen Leiden als neue Erfindung vorgestellt wurde.
Um Energie sinnvoll zu speichern, ist das Gerät nicht geeignet. Strom in Flaschen war also nicht an der Tagesordnung, dafür aber Strom in Säulen – ausgehend von Alessandro Volta, der die nach ihm benannte Voltasche Säule baute. Der italienische Edelmann darf somit als grundlegender Erfinder der Batterie der Neuzeit gelten. Keine zehn Jahre später – 1802 – entwickelte der Schlesier Johann Wilhelm Ritter dessen Türmchen aus Münzen unterschiedlichen Metalls samt Kochsalzlösung oder Schwefelsäure weiter zum ersten Akkumulator, also der ersten wiederaufladbaren Batterie. Techniker sprechen hier von Primär- und Sekundärzellen.
Der Akku-Ritter, von Haus aus übrigens Pharmazeut, sollte auch aus weiteren Gründen als Vorglüher der Elektrochemie gelten. Er formulierte Monate vor Volta und auch korrekter als dieser das Spannungsgesetz. Außerdem erforschte er die Elektrolyse von Wasser und entdeckte den Galvanisationsprozeß. Ritter nutzte dabei die gleichen Versuchsobjekte zum Galvanisieren wie vorher schon bei seiner Erforschung der Voltaschen Säule, als er herausfinden wollte, was es mit dem positiven und dem negativen Pol auf sich habe: seine Finger, seine Zunge, und seine Augen! „Kind, Batterien darf man nicht anlecken!“ – den Satz sagt heute vielleicht manche Mutter, Mutter Ritter indes wußte noch nichts davon. Prompt fand ihr Sohn heraus, welcher Pol salzig und welcher säuerlich schmeckt und welcher rote oder blaue Blitze verursacht.
Grundlegende Beiträge zur Elektrochemie lieferte auch Theodor Grotthuß und zwar, ohne an Polen zu lecken. Der Deutsch-Litauer war schon als kleiner Junge an der Universität Leipzig eingeschrieben. Als junger Mann lieferte er um 1806 die Erklärung für die Vorgänge zwischen den Elektroden als wechselseitige Oxidation und Reduktion und legte damit der Elektrolyse den theoretischen Unterbau. Sowohl Ritter als auch Grotthuß starben jung, mit 33 bzw. 37 Jahren; letzterer nicht durch an Gliedmaßen angelegte Spannung, sondern an sich selbst gelegte Hand. Der Klever Arzt Josef Sinsteden wurde dafür 88 Jahre alt – und das, obwohl er lange Zeit mit Blei experimentierte. Er gilt als der Erfinder der Bleiakkus, wie sie noch heute in den meisten Autos zu finden sind. Der Mainzer Augen- und Ohrenarzt Carl Gassner wiederum entwickelte eine Trockenbatterie, die man prinzipiell noch heute als Allzweckbatterie kaufen kann. Deren Vorgänger waren samt und sonders zu schwer und kurzlebig, denn sie trockneten rasch aus. Gassner benutzte einen Behälter aus Zink – im Grunde genommen das von Robert Bunsen 1841 erfundene Zink-Kohle-Element – und versiegelte ihn. Das Ganze ließ er sich 1886 in Deutschland und 1887 in den USA patentieren. Berühmt wurde diese Zelle als Energielieferant für Türklingeln. Noch ein wenig kleiner und damit handlicher wollte es Paul Schmidt aus Köthen haben. Seine Flachbatterie bekam ihren Anti-Austrocknungseffekt durch die Zugabe von Mehl zur Elektrolytsäure: Das soll sich der Erfinder von seiner Frau beim Backen abgeschaut haben. Da Schmidt auch ein Glühlämpchen aus eigener Fertigung vorzuweisen hatte, lag die Erfindung der elektrischen Taschenlampe auf der Hand. Als Besitzer des Daimon-Werkes erhielt Schmidt eben darauf das Patent. Gebaut haben soll er die Leuchte 1896 – und damit vor dem Engländer David Misell, der dies für das Jahr 1899 für sich in Anspruch nahm. Paul Schmidt besaß am Ende seines Lebens rund 50 Patente.
Die deutsche Sprache als Schlüssel
Nun sind wir etwas abgeschweift, Pardon. Und das nur beim winzigen Unter-Unterthema Stromspeicher. Dabei wollte ich noch etwas erzählen über Astronomie und Philosophie und Baukunst, Musik, Haushaltsgeräte, die höchste Kulturdichte weltweit, die meisten und den exotischsten Käse aus Würchwitz, warum die Welt sich um Sachsen dreht und die heutige Noch-Leitwährung aus Böhmen stammt – Dollar gleich Taler gleich Joachimsthaler. Was das alles mit Pechblende zu tun hat und warum Amerika uns nicht nur Namen und Geld, sondern auch alles andere zu verdanken hat. Wie Jeans, Raumfahrt und Hollywood, Bühnenbau und Tonfilm, Kameratechniken und Beleuchtung, Oberschurken vor der Kamera und Helden dahinter, den Superman und so ziemlich jedes sinnvolle Patent. Und warum die erste Atombombe wohl in Deutschland getestet wurde und die ersten amerikanischen wie russischen Kernwaffen und -antriebe ohne einheimische Tüftler, Techniker und Denker nie zustande gekommen wären. Und nicht ohne deutsches Uran.
Selbst das erste amerikanische Auto von 1891, der sogenannte „Nadig Road Wagon“, stammte von dem aus Odernheim ausgewanderten Heinrich Nadig. Den Rest zum Thema Auto dürften Sie kennen: Benz, Daimler, Otto, Wankel und Bosch. Wobei Gottlieb Daimler zugleich das erste Motorrad der Welt schuf. Das alles war so um 1880. Aber noch mal 20 Jahre früher tuckerte bereits ein Mecklenburger namens Siegfried Marcus mit einem selbst zusammengezimmerten Wägelchen mit Ein-Pferdestärken-Benzinmotor durch eine der drei größten damaligen deutschsprachigen Städte der Welt: Wien. Die beiden anderen übrigens: Berlin und New York. Und im damaligen wie heutigen Auto wiederum stecken ja tausend weitere Erfindungen, von denen 950 zwischen Königsberg, Breslau, Preßburg, Zürich, Straßburg und nicht zuletzt Mitteldeutschland gemacht wurden. Vom mittelalterlichen Krummzapfen im erzgebirgischen Bergbau, Vorläufer der Pleuelstange, über alle Antriebs- und Kraftstoffarten wie Dampf, Strom, Dieselöl und Benzin zu ABS und LED. Und so weiter und so fort.
Ich muß es jetzt sehr kurz auf den Punkt bringen. Warum wir so geistreich, tüchtig und schöpferisch sind? Genau deswegen: Weil wir es schnell auf den Punkt bringen können! Die deutsche Sprache ist präzise, exakt, geschmeidig, ausdrucksstark und beschreibend, elastisch und formschön, allseits unendlich offen und zu allem gut. Deutsch ist die Sprache Gottes, und wenn Gott nicht die Welt erschaffen hätte, ein Deutscher hätte es getan. Dann würde allerdings nicht nur das genaue Schöpfungsdatum feststehen, so wie es uns der anglikanische Bischof James Usher im 17. Jahrhundert übermittelt hat: 23. Oktober im Jahr 4004 vor Christus. Sondern auch die genaue Uhrzeit.