Flucht und Vertreibung mit den Augen eines Kindes – erstmals als Graphic Novel

Cornelius von der Mühlen

Das Schicksal der bis zu 14 Millionen deutschen Heimatvertriebenen blieb viele Jahre lang wenig beachtet; Trauer- bzw. Traumaarbeit fand so gut wie nicht statt. Auch war den meisten Menschen in der Bundesrepublik Deutschland und Österreich nicht bewußt, daß jeder Vierte bis Fünfte ihrer Zeitgenossen ein von entsprechenden Extremsituationen betroffener Heimatvertriebener war. Erst in jüngerer Zeit, jetzt, wo die Erlebnisgeneration schon fast verschwunden ist, widmen sich Wissenschaftler zunehmend dem Schicksal der „Kriegskinder“.

Nachdem die Geschichte der Flucht des damals sechsjährigen Heinz Herwig Bathelt aus Bielitz in Schlesien 2020 erstmals in Österreich, der Slowakei und Polen veröffentlicht worden war, entstand die Idee, diese Schilderung in Form einer Graphic Novel, der „ernsthafteren“ Form eines Comics, aufzubereiten. So sollte auch für jüngere Generationen ein „niederschwelliger“ Zugang zu den Ereignissen der damaligen Zeit ermöglicht werden – manche Darstellungen wirken visuell schließlich stärker als Worte.

Harte Kindheit ohne Verbitterung

Herausgeber und Sohn Christoph Bathelt zeigt sich mit dem nun vorliegenden Ergebnis zufrieden: Das Trauma der Flucht und die anschließende bedürftige Kindheit haben meinen Vater zwar geprägt, aber niemals verbittert. Seine Erlebnisse bestätigen den Satz Viktor E. Frankls, wonach es nur zwei Menschenrassen gebe: nämlich die ‚Rasse‘ der anständigen Menschen und die ‚Rasse‘ der unanständigen Menschen.
Vor diesem Hintergrund freue ich mich sehr, daß der Neue Welt Verlag und mein Freund, Prof. Birol Kilic, diese Intention verstanden und das Buch publiziert haben, um das Verbindende und damit Versöhnende darin zu dokumentieren. Durch meine zahlreichen Gespräche an Schulen und mit Vertretern der deutschen Minderheiten in Osteuropa habe ich festgestellt, daß es einen großen Bedarf an Unterrichtsmaterialien zu diesem Thema gibt. Ich hoffe, mit diesem Beitrag eine Lücke schließen zu können, damit sich nachgeborene Generationen mit diesem Thema auseinandersetzen können.
Der 2004 gegründete Neue Welt Verlag widmet sich kulturellen, philosophischen und religiösen Themen. Verlagsgründer und -inhaber Birol Kilic kommentiert das Projekt: Der Neue Welt Verlag möchte seit vielen Jahren Brücken bauen zwischen Menschen, Kulturen und Generationen im Sinne des Humanismus’ und des Friedens. Mit diesem Projekt haben wir das erste Mal nicht nur in der Form etwas Neues geschaffen, sondern auch ein Thema gewählt, das die Vergangenheit unseres Kontinents bis heute prägt.

Typische Fluchtgeschichte außergewöhnlich erzählt

Heinz Herwig Bathelt ist zwar bereits im Oktober 2022 verstorben, konnte den Musterdruck aber noch begutachten. Das darin Geschilderte ist nicht nur sein Vermächtnis, sondern auch das einer Generation, die ihrer Kindheit beraubt wurde und einfach nur zu „funktionieren“ hatte. Seine Fluchtgeschichte ist einerseits typisch, andererseits außergewöhnlich – als Ergebnis einer präzisen Beobachtungsgabe und vieler erstaunlicher Details. Spannend für alle Beteiligten waren die Recherchen und das Überprüfen der Erinnerungen Heinz Bathelts: Wo Familienfotos nicht ausreichten, stellten bekannte Aufnahmen aus der Zeit – wie jene der zerstörten Reichsbrücke – wichtige Zusammenhänge her. Erhalten gebliebene Materialien wie Geldscheine oder Reisedokumente konnten zudem durch die Nachforschungen besser zugeordnet werden.

Die durchgehend farbigen Zeichnungen des broschierten Werkes im Format A4 stammen von der slowakischen Graphikerin Klára Štefanovičová, die ihr Studium an der Kunstakademie Preßburg erst 2022 abschloß. Trotz ihrer Jugend konnte sie ihre Arbeiten schon in fünf Einzelausstellungen präsentieren und sorgte vor allem 2019 mit ihrer Graphic Novel zur tschechoslowakischen „samtenen Revolution“ des Jahres 1989 für Aufsehen. Trotz weniger Vorkenntnisse hinsichtlich der in Die Heimat in der Schultasche dargestellten Epoche nahm sie die Herausforderung an und produzierte ein mehr als überzeugendes Ergebnis. Auch weil Klára Štefanovičová, Jahrgang 1995, altersmäßig der Zielgruppe nahekommt, waren ihre Anmerkungen überaus wertvoll.

Heinz H. Bathelt/ Klára Štefanovičová
Die Heimat in der Schultasche
Geschichte einer Flucht

Herausgegeben von Christoph Bathelt
NeueWeltVerlag 2023, 32 S., € 19,90

neueweltverlag.at

Beitrag teilen

Facebook
Twitter
Email
Telegram
Print