Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

80 Jahre erste Nationalratswahl nach dem Zweiten Weltkrieg

von Mario Kandil

Kalendarium Kandili (68)

Vor 80 Jahren, am 25. November 1945, fand  in Österreich die erste Nationalratswahl nach Ende des Zweiten Weltkrieges statt. Nicht nur für viele heutige Historiker war das der Beginn einer neuen Ära.

Der Zweite Weltkrieg in Europa hatte erst rund sieben Monaten zuvor geendet. Ein halbes Jahr vor dem Wahlsonntag im November wurde die Proklamation über die Selbständigkeit Österreichs unterzeichnet. Am 27. April 1945 hatte die Provisorische Staatsregierung unter Staatskanzler Karl Renner von der SPÖ ihre Arbeit aufgenommen. Doch Österreich lag noch in Trümmern, der Wiederaufbau vollzog sich nur schleppend, und die alliierten Siegermächte standen als Besatzer im Land.

Für die Nationalratswahl besaßen etwas weniger als dreieinhalb Millionen Österreicher eine Wahlberechtigung, rund 800.000 einstige Mitglieder der NSDAP hatten diese nicht. Die Wahlbeteiligung lag bei sehr hohen 93,27 %. Die ÖVP unter Leopold Figl ging als Sieger aus der Wahl hervor und erreichte eine absolute Mandatsmehrheit (49,8 % der Stimmen, 85 Sitze). Zweiter wurde die SPÖ unter Staatskanzler Renner mit 44,6 % der Stimmen und 76 Sitzen. Die KPÖ blieb deutlich hinter den Erwartungen zurück, indem sie lediglich 5,4 % erhielt, was für sie vier Mandate ergab. Die Demokratische Partei Österreichs (DPÖ) kam auf einen Stimmenanteil von nur 0,2 % und zog nicht ins Parlament ein.

Bei den zeitgleich abgehaltenen Wahlen in Niederösterreich – in allen österreichischen Bundesländern wurde parallel zur Nationalratswahl abgestimmt – sah das Resultat beinahe identisch aus, und auch dort errang die ÖVP die absolute Mehrheit. Die KPÖ hatte sowohl in Niederösterreich als auch auf Bundesebene ein besseres Ergebnis erwartet. Die sowjetischen Besatzer waren enttäuscht und verärgert, und so hatte dieses Wahlergebnis auch Folgen für das Verhältnis zwischen Landesregierung sowie Landesverwaltung und der sowjetischen Besatzungsmacht. Auf dieser Ebene trat eine regelrechte Eiszeit ein.

Kurz vor Weihnachten 1945 trat der Nationalrat zur konstituierenden Sitzung zusammen, wobei Figl zum Bundeskanzler ernannt und von ihm die neue Bundesregierung gebildet wurde. Diese war – wie bereits die Provisorische Staatsregierung – eine Regierung aller im Parlament vertretenen Parteien, also der ÖVP, SPÖ und KPÖ. In der Folge verlor die KPÖ zunehmend ihren bisherigen Einfluß, während sich der Dualismus ÖVP – SPÖ immer mehr herausbildete.

Über den Autor:

Dr. phil. Mario Kandil M.A., geb. 1965, studierte in Aachen Mittlere und Neuere Geschichte, Alte Geschichte und Politische Wissenschaft und promovierte in Hagen. Nach langjähriger Tätigkeit im universitären Bereich und in der Erwachsenenbildung heute freier Historiker und Publizist. Forschungsschwerpunkte: Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons I. sowie der Nationalstaaten, Weltkriege und Kalter Krieg.

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