Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

1683 oder Söldner ist nicht gleich Söldner

von Martin Hobek

1683 stellte einen Wendepunkt in der Geschichte dar. Die vor Wien gescheiterte Zweite Türkenbelagerung leitete den Niedergang des Osmanischen Reiches und den Aufstieg der befreiten Stadt zur Weltmetropole ein. Sowohl unter den Belagerern als auch im Entsatzheer befanden sich tatarische Söldner. Deren gänzlich unterschiedliche Qualität sorgte für die Entscheidung.

Die Tataren waren ein Turkvolk, das in den Weiten der zentralasiatischen Steppe lebte. Dort lernten sie schon bald den optimalen Umgang mit Pferden. Denn egal, ob die nomadische Umsiedlung eines ganzen Dorfes, das Zusammenhalten von Tierherden, die Jagd oder die Verteidigung von Weidegründen – ohne Pferd ging gar nichts. Bis weit in die Neuzeit hinein waren Reiter und Bogenschützen zwei wichtige Waffengattungen. Die Tataren kombinierten beides. Sie ritten ihre gut trainierten Pferde im Galopp und schossen dabei ihre Pfeile auch aus der Distanz zielsicher in alle Richtungen. Das führte dazu, daß die Tataren zeitweilig sogar die Russen und die Chinesen unterjochten.

Heute sind die Tataren über Osteuropa verstreut. In Rußland verfügen sie über eine eigene autonome Republik namens Tatarstan mit einer knappen Bevölkerungsmehrheit zu ihren Gunsten. Deren Kapitale Kasan ist die nördlichste muslimische Millionenstadt der Welt, und der Kreml der Tataren braucht den Vergleich mit jenem in Moskau kaum zu scheuen. Der Fußballverein Rubin Kasan machte Tatarstan international bekannt. 2008 und 2009 wurde er russischer Meister und besiegte 2009 sogar in der Champions League Titelverteidiger FC Barcelona auswärts mit 2:1. In Österreichs Öffentlichkeit kennt man drei Tatarischstämmige: Der größte Ballettänzer seiner Zeit und womöglich aller Zeiten, Rudolf Nurejew (1938-1993), wurde, nachdem er sich aus der Sowjetunion abgesetzt hatte, österreichischer Staatsbürger. Charles Bronson (1921-2003) flimmerte als US-Westernheld über die Bildschirme, und in den Gesellschaftsspalten der Druckmedien kommt man an Fotomodell und Schauspielerin Irina Shayk (geb. 1986 in Rußland) nicht vorbei.

Aber zurück zu 1683: Die Großmacht Polen(-Litauen) unterhielt immer beste Beziehungen zu den in ihrem Herrschaftsbereich lebenden Tataren. Schon am polnisch-litauischen Sieg über den Deutschen Ritterorden 1410 beim ostpreußischen Tannenberg sollen sie einen großen Anteil gehabt haben. Die polnisch-tatarische Verbundenheit pflegte auch König Johann III. Sobieski. Seine tatarischen Söldner waren ihm lieb und teuer. 1683 kaufte Papst Innozenz XI. Sobieski gegen eine horrende Summe in seine „Heilige Allianz“ ein. 1679 war Wiens Bevölkerung durch eine schreckliche Pestepidemie dezimiert worden, und die Osmanen lehnten 1682 die Verlängerung eines auslaufenden Nichtangriffspaktes ab. Innozenz wußte genau, was das bedeutete. Wien dürfe keinesfalls das Schicksal Konstantinopels erleiden, galt dem Heiligen Vater als oberste Maxime. Als Jan Sobieski am 31. März 1683 das Defensivbündnis unterschrieb und 1,5 Millionen Gulden dafür erhielt, dachte er wohl, es sei das Risiko wert. Die Beistandspflicht würde – wenn überhaupt – irgendwann einmal in ferner Zukunft schlagend werden. Was Sobieski nicht wußte: Am selben Tag setzte sich das osmanische Heer von Adrianopel – dem heutigen Edirne im europäischen Teil der Türkei – in Bewegung, und Sultan Mehmed IV. versandte eine Kriegserklärung an den römisch-deutschen Kaiser und an den polnischen König, in der er den beiden ankündigte, sie nach ihrer Unterwerfung zu Tode zu foltern. Bereits am 3. Mai hatten die knapp 170.000 Krieger des osmanischen Heeres Belgrad erreicht. Zu diesem Zeitpunkt hätte mit diesem Wissen niemand mehr einen einzigen Gulden auf die Rettung Wiens gesetzt, geschweige denn einen Beistandspakt abgeschlossen.

Aber dann passierte etwas völlig Unvorhergesehenes: Die tatarischen Söldner unter den Angreifern konnten ihrer Lust nach Morden, Rauben und Vergewaltigen immer weniger widerstehen und unternahmen ausgedehnte Ausflüge bis nach Kärnten und sogar Osttirol. Sie waren damit nicht nur verantwortlich dafür, daß die Belagerer viel zu spät vor den Toren Wiens eintrafen, sie schnitten ihren Leuten mit dem Niederbrennen von Feldern und Ermorden von Bauern auch noch den Lebensmittelnachschub ab. Als das Entsatzheer im letzten Moment eintraf, hatte Sobieski seine eigenen Tataren dabei, die jedoch um Welten besser „funktionierten“. Vorneweg stürzten sie sich so verwegen und unaufhaltsam vom Kahlenberg hinab durch den Wienerwald, daß ihnen das Kommandozelt Kara Mustafas auf der Schmelz völlig unversehrt in die Hände fiel.

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