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Wenn der gallische Hahn auf Deutsch kräht

von Caroline Sommerfeld.

Gallizismen (vom „gallischen Hahn“, dem Wappentier Frankreichs, da das lateinische Wort gallus sowohl „Hahn“ als auch „Gallier“ bedeutet) sind Wörter französischer Herkunft, die in der deutschen Sprache benutzt werden.

Wie kamen die vielen französischen Wörter in die deutsche Sprache? Zunächst durch die technische Entwicklung, die mit der Industrialisierung einsetzte und bis ins 19. Jahrhundert tausende neuer Gallizismen hervorbrachte. Die technischen Neuerungen sind entweder selbst französischen Ursprungs, oder bestimmte Bereiche der Technik wie das Post- und Eisenbahnwesen verwenden das Französische als Fachsprache, woraus die Wörter dann rasch in die deutsche Allgemeinsprache einwandern.
In die Eisenbahn lud man bessere Kreise, aus denen man die ersten Fahrgäste erwarten konnte, durch elegante Gallizismen wie „Perron“, „Coupé“, „Billet“ und „Condukteur“ ein. Das „Coupé“ wurde im Ersten Weltkrieg durch das „Abteil“ ersetzt (ein Wort, das man zunächst für „fürchterlich verunglückt“ hielt). Es zeige durch seine heute übliche Betonung auf der zweiten Silbe (Abteil) (gegenüber Anteil, Vorteil usw.) noch die Nachwirkung des Wortes, an dessen Stelle es trat, so nimmt die Deutsche Wortgeschichte an.
Das Bauwesen übernahm den „Cement“ (später „Zement“ aus frz. cément), der um 1850 in Deutschland erstmals hergestellt wurde, und den sich gegen Ende des Jahrhunderts durchsetzenden „Beton“ (aus frz. béton). Der bundesdeutsche Sprecher spricht ihn beharrlich falsch französisch aus, nämlich mit nicht akzentuiertem kurzem e (hinzu kommt die Besonderheit des Berliners, der zusätzlich den Nasallaut vermeidet und „betong“ ebenso wie „balkong“ spricht), während der Österreicher den „Beton“ auf der zweiten Silbe betont, genauso wie den „Balkon“.

Sprachreiniger, Modewörter und die „gute Gesellschaft“

Die Geschichte der Gallizismen im Deutschen ist auch eine Geschichte ihrer Vertreibung. Sobald französische Fremdwörter über Fachsprachen oder durch ihren vornehmen Klang (à propos: „chique“ ist keineswegs original Französisch, sondern eine absichtlich französisierende Fehlschreibung des deutschen „Schick“) in die deutsche Sprache einwandern, werden Bestrebungen laut, die Einwanderer einzudeutschen. Der Sprachpfleger Radloff rief 1814 in Frankreichs Sprach- und Geistestyrannei über Europa die Behörden gegen das Fremdwörterunwesen auf.
Berühmt geworden ist der Generalpostmeister Stephan, dessen Lebensaufgabe es war, das Postwesen von zumeist aus dem Französischen entlehnten Fremdwörtern zu reinigen. Er machte aus dem „Couvert“ den „Briefumschlag“, aus „poste restante“ wurde „postlagernd“, und ein Expreßbrief wurde nun als „Eilbrief“ auch „eingeschrieben“ statt wie bisher „rekommandiert“ verschickt.

Der zweite Grund für die vielen Gallizismen ist die seit dem 18. Jhdt. grassierende Mode des Französischsprechens bei Hofe, das in Gestalt einzelner Wörter in alle Volksschichten durchsickerte. Französisierende Berufsnamen sind ein Tummelplatz der Scheingallizismen und falschen Freunde: Auch „Spediteur“ (frz. expéditeur) und „Restaurateur“ für „Wirt“, gehören in diese Gruppe. Im 19. Jhdt. kommen der „Monteur“ und der „Installateur“ hinzu. Hier dienen die französisierenden Bezeichnungen eindeutig als sprachliche Aushängeschilder.

Wenn Wohnräume mit so hübschen faux amis (dt. „falsche Freunde“ des Übersetzers, der bekannteste ist das im Englischen gar nicht vorkommende „Handy“) benannt werden wie das „Parterre“ (frz. rez-de-chaussée) oder das „Entree“ (frz. antichambre), dann hat dies ebenfalls mit der Modesprache Französisch zu tun.
Die „Gesellschaft“ des 19. Jhdt. umfaßte keineswegs einen sehr großen Teil des Volkes, man hätte ihre neuen französischen Umgangsformen als Sondersprache beiseitelassen können, doch die nicht „gesellschaftsfähigen“ Stände griffen begierig die Lebensformen und Wörter der Oberschicht auf. Verwandtschaftsnamen wie „Papa“, „Mama“, „Onkel“, „Tante“, „Cousin“ und „Cousine“ oder Kleidungsbezeichnungen wie „Frack“, „Chapeau Claque“ (seit etwa 1830, bei Wilhelm Busch frech deutsch phonetisiert zu „Schappe-klack“) oder „Manschette“, „Cravatte“, „Kostüm“ und „Korsett“ kamen bald im ganzen Volk an. Nur der süddeutsche Sprachraum hielt bezüglich der Verwandtschaft etwas länger an „Vater“, „Mutter“, „Vetter“ und „Base“ fest.
Für den Freund der Gallizismen, falschen Freunde und französisierenden Verballhornungen ist diese Sammlung ein Vergnügen:
Deutsche Wortgeschichte, hrsg. von Friedrich Maurer und Fritz Stroh, Berlin1943 (in mehreren Auflagen bis 1974 erschienen, die älteren sind antiquarisch recht preiswert erhältlich).

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