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Mythos Gutenberg

von Christoph Bathelt

Nur von wenigen Menschen ist der Name so bekannt und die Person so vergessen. Seine Erfindung glaubt jeder zu kennen, doch kaum jemand kennt die vielen kleinen Entdeckungen auf dem Weg dorthin: mit Ruß versetzter Leinölfirnis als schnelltrocknende Druckfarbe, die in der Region wohlbekannte und aus der Weinproduktion stammende Druckerpresse, die den Druckprozeß enorm beschleunigte und eine gleichmäßige Übertragung des Druckbildes ermöglichte; und schließlich die „beweglichen Lettern“.

Die Idee der Fragmentarisierung von Buchstaben, Satzzeichen und Ligaturen und ihre beliebige Vervielfältigung war eine Großtat, welche die Welt veränderte.

Die Rede ist von Johannes Gutenberg. Diesen Menschen, im Jahr 2000 von einem US-amerikanischen Magazin als „Man of the Millenium“ ausgezeichnet, gäbe es nur als Fußnote, wenn er nicht Ende des 18. Jhds. von den Franzosen wiederentdeckt und gewürdigt worden wäre: So forderte der Jakobiner Anacharsis Cloots vor der französischen Nationalversammlung 1792 die Überführung der sterblichen Überreste Gutenbergs ins Panthéon zu Paris, da er in ihm einen Wegbereiter der Revolution sah, die erst durch seine Erfindung möglich gewesen sei. Unter Napoleon, der Gutenbergs Geburtsstadt Mainz sehr liebte und ihr den Ehrentitel einer „bonne ville“ seines Reiches gab, schuf Stadtplaner Eustache de Saint-Far neben Bauwerken und repräsentativen Straßen vor allem den bis heute so genannten „Gutenbergplatz“. Ein geplantes Denkmal konnte jedoch nicht realisiert werden.
Als die Stadt 1816 an das Großherzogtum Hessen-Darmstadt fiel, war es die Bürgerschaft, welche die Errichtung des Monuments wünschte. Finanziert von der sogenannten Casino-Gesellschaft und dem Kunstverein gestaltete der Bildhauer Joseph Scholl 1827 eine Statue aus Sandstein, die allerdings im Hof der Gesellschaft stand, daher eher privaten Charakter hatte und insgesamt enttäuschte. So entschloß man sich zu einem neuen Projekt, das ein beeindruckendes Eigenleben entwickelte: Zum ersten Mal widmeten Bürger – und zwar aus ganz Europa – ein Denkmal einem Bürgerlichen. Es entstand ein Kunstwerk von europäischem Rang. Der dänische Bildhauer Bertel Thorvaldsen schuf das Standbild, das seitdem das Bild Gutenbergs in der Welt prägt. Die Bronzefigur ist bis heute ein Liebling der Bevölkerung und wird während der Fastnachtstage von den Narren mit einer Kappe als „einer der Ihren“ geschmückt; während der Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs vergraben überstand sie diese Zeit unbeschadet. Mainz hatte Gutenberg längst als ihren „größten Sohn“ anerkannt, was 1900 in eine riesige Geburtstagsfeier mündete: Neben einem Festzug mit tausenden Teilnehmern in historischen Kostümen wurde das Gutenbergmuseum gegründet. Nach einigen Umzügen fand dieses „Weltmuseum der Druckkunst“ 1962 anläßlich der 2000-Jahr-Feier der Stadt seinen Standort in einem etwas kläglichen Betonbau, dessen Inhalt aber über die weltweite Geschichte des Buchdrucks informiert und wo Besucher an einer Presse historischer Bauart selbst Hand anlegen können. Bekannteste „Drucker“ waren dort Königin Elisabeth II. und Prinz Philip im Jahr 1978, wobei sich das Kleid der Queen in der Amtskette von Oberbürgermeister Jockel Fuchs verfing, was für protokollarische Aufregung sorgte. Seit den 1960er-Jahren wird alljährlich die „Mainzer Johannisnacht“ gefeiert, mit Jahrmarkt und Feuerwerk; auch die 1946 von den Franzosen wiedereröffnete Universität trägt seinen Namen.

Die historische Gestalt Gutenberg ist nur schemenhaft faßbar.

Es ist eher überlieferter Kompromiß denn dokumentierte Tatsache, den Geburtstag Gutenbergs an seinem Namenstag anzusetzen, dem Fest des Hl. Johannes, am 24. Juni des Jahres 1400. Der Patrizier aus der Familie Gensfleisch wird im „Hof zum Gutenberg“ geboren, darum so genannt und in der benachbarten Pfarrkirche St. Christoph getauft. Mit 19 Jahren taucht sein Name erstmals in den Akten auf, und auch ein Matrikeleintrag der Universität Erfurt wird auf ihn bezogen. Erst neun Jahre später wird er wieder aktenkundig – die Stadt Mainz steckt wieder einmal in finanziellen Schwierigkeiten. Aufgrund horrender Steuerforderungen des Rates beschließt eine Gruppe von Patrizierfamilien, die Stadt zu verlassen – darunter auch Familie Gensfleisch. 1433 stirbt die Mutter; wir wissen nicht, ob Gutenberg mit dem Erbe endlich beruflich „durchstarten“ wollte, aber ab dem Folgejahr ist er für ein Jahrzehnt in Straßburg dokumentiert: nicht nur als Halbmitglied der Goldschmiedezunft, sondern auch als zunftfreier Handwerker und wegen eines nicht eingehaltenen Eheversprechens. 1439 kommt es erstmals zu einem Konflikt mit dem Rat der Stadt in Bezug auf die Herstellung von sogenannten „Wallfahrtsspiegeln“, die er unter strengster Verschwiegenheit mit geheimnisvoller „aventur und kunst“ herstellte, mit einer Presse und Material „zu dem trucken gehöret“. Es ist also zu vermuten, daß er hier bereits einige der späteren Erfindungen ausprobierte.
Daß er 1448 wieder nach Mainz zieht und sich 150 Gulden leiht, zwei Jahre später noch einmal 800, weist auf den Beginn seines Unternehmertums als Drucker hin, für das er viel experimentieren und investieren muß: in Blei, Zinn, Bismut und Antimon zur Herstellung der Lettern, zu deren Vervielfältigung er ein Handgießgerät konstruiert; er erfindet Winkelhaken, Setzkasten und Satzschiff. Gleichzeitig muß er etwa 20 Gehilfen einstellen und anlernen. Weitere zwei Jahre später leiht er sich noch einmal 800 Gulden vom Advokaten Johannes Fust, dem er seine Gerätschaften als Sicherheit bietet und der dadurch zum Geschäftspartner für das „Werck der bucher“ wird.

Es folgt die Krönung: die legendäre Bibel in lateinischer Sprache in zwei Bänden mit insgesamt 1282 Seiten, die in einer Auflage von 180 Exemplaren erscheint.

Dafür hatte Gutenberg fast 300 verschiedene Figuren gießen müssen, Initialen und andere Schmuckelemente wurden später von Hand hinzugefügt. Wie damals üblich werden die meisten Exemplare nicht gebunden, sondern als Aktenbündel vertrieben. Die Annalen berichten 1454, daß während des Frankfurter Reichstages ein „vir mirabilis“, ein „wundersamer Mann“ solche gedruckten Faszikeln verkauft haben soll, möglicherweise Gutenberg selbst. Die sogenannte Gutenbergbibel gehört bis heute zu den schönsten gedruckten Büchern der Welt. Damit bewies ihr Urheber, daß die „nova forma scribendi“ – obwohl wesentlich schneller und günstiger herzustellen – den handschriftlichen Werken ästhetisch gleichwertig war. Damit konnte sich das Weltwissen explosionsartig verbreiten und veränderte die Welt nachhaltig – das Mittelalter endete, die Neuzeit begann. Von diesen ersten Bibeln sind 49 Exemplare erhalten geblieben, zwei davon im Mainzer Museum.

1455 beginnt ein Streit Gutenbergs mit seinem Kompagnon Fust. Neben den noch nicht verkauften Bibeln verliert Gutenberg große Teile seiner Werkstatt. Fust und Gutenbergs ehemaliger Geselle Peter Schöffer führen das Geschäft erfolgreich weiter; so entsteht der „Mainzer Psalter“, das erste Beispiel eines Dreifarbendrucks. Auch Johannes Gutenberg macht weiter, teilweise mit von der Stadt Mainz geborgtem Werkzeug: Mit einer verbesserten Schrifttype druckt er z.B. den sogenannten Türkenkalender (1455), die Türkenbulle (1455/56) und vermutlich sogar ein Wörterbuch.

Die große Katastrophe bricht über ihn am 29. Oktober 1462 herein: Im Zuge der Mainzer Stiftsfehde werden zahlreiche Mainzer verbannt, ihr Besitz wird an Unterstützer des neuen Landesherrn vergeben. Gutenberg und mehrere seiner Verwanden finden in Frankfurt am Main Zuflucht. 1465 wird er von Erzbischof Adolf von Nassau begnadigt, zum „Hofmann“ ernannt und mit jährlichen Wein-, Getreide- und Kleidungsdotationen bis an sein Lebensende versorgt. Dieses tritt schon drei Jahre später im „Hof zum Algesheimer“ ein. Seine letzte Ruhestätte findet er in der Franziskanerkirche; sie wurde bei der preußischen Belagerung 1793 beschädigt und anschließend abgerissen. Ebenso zerstört wurden 1945 sein Geburtshaus und seine Taufkirche St. Christoph, von der nur eine Ruine blieb. Nur Gutenbergs Sterbehaus und seine Werkstatt sind, zumindest äußerlich, erhalten geblieben und geben einen kleinen Eindruck aus der Lebenszeit des Erfinders, der die Welt verändert hat.

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